Prag - Das renommierte Prager Theaterfestival deutscher Sprache feiert in diesem Jahr sein 30- jähriges Bestehen. Vom 15. November bis zum 11. Dezember zeigt das Festival eine exklusive Auswahl herausragender deutschsprachiger Inszenierungen aus den Repertoires renommierter Theaterhäuser.
Vertreten sind unter anderem das Schauspielhaus Wien, das Theater Basel, das Deutsche SchauSpielHaus Hamburg und das Thalia Theater Hamburg. Darüber hinaus erwarten das Publikum: der beliebte Theaterausflug, diesmal zur Berliner Volksbühne; die Aufführung der diesjährigen Preisträger des Josef-Balvín-Preises aus dem Südböhmischen Theater Budweis; der bereits traditionelle Open Call für junge Talente deutschsprachiger Theaterakademien sowie ein reichhaltiges Off-Programm mit Inszenierungen, Lesungen, Workshops und einer Konferenz.
„Als diesjähriges Motto haben wir ein schlichtes, aber tiefgründiges Wort gewählt: TROST. Trost – das ist Halt, Hoffnung, ein tröstender Moment, Freude, die uns Kraft zum Weitermachen gibt, und das Gefühl, dass wir nicht ganz alleine sind, wenn die Welt aus den Fugen zu geraten scheint. Trost ist ein menschliches Bedürfnis und wird oft als Gnade oder Geschenk empfunden. Das gemeinsame Erleben von Theaterkunst kann unserem Unbehagen ebenso eine Stimme geben wie unserer Hoffnung, und wir glauben, dass unser Festival bereits seit dreißig Jahren Unterstützung, Hoffnung und Trost bietet. Die diesjährige Jubiläumsausgabe ist nicht nur eine Feier der Vergangenheit, sondern vor allem eine Herausforderung der Zukunft. Seien wir neugierig, offen und bereit, uns vom Theater berühren zu lassen. Freuen wir uns auf Inszenierungen, die nicht nur Unterhaltung sind, sondern oft auch ein schonungsloses Spiegelbild unserer Zeit“, lädt Festivaldirektor Petr Štědroň ein.
„Es überrascht kaum jemanden, dass das Festival im Laufe seiner dreißig Ausgaben viele Veränderungen durchgemacht hat und oft auf völlig unerwartete Herausforderungen reagieren musste. In den ersten beiden Jahren ging es darum, Aufmerksamkeit zu gewinnen, etwas später standen die Finanzen im Vordergrund, und in jüngster Zeit kämpfen wir vor allem um Räume und die technische Ausstattung der Spielstätten. Leicht war es nie, aber es hat sich immer gelohnt – vor allem dank der Aufgeschlossenheit unseres Publikums und unserer Partner, die sich mit uns seit so vielen Jahren auf den riskanten Weg des Suchens und Entdeckens ungewöhnlicher, oft schockierender und manchmal auch provokanter Impulse begeben. Der Aufgeschlossenheit und dem Verständnis des Publikums verdanken wir den Ruf, den sich das Festival erarbeitet hat. Den Erwartungen des Publikums gerecht zu werden, ist für uns die wichtigste Verpflichtung,“ ergänzt Jitka Jílková, die ehemalige langjährige Leiterin des PDFNJ.
Der Ticketvorverkauf über GoOut startet am 31. Oktober – weitere Informationen gibt es auf der Festival-Website www.theater.cz. Alle deutschsprachigen Aufführungen werden mit tschechischen Übertiteln gezeigt.
Bereits der Beginn des diesjährigen Festivals ist außergewöhnlich: Am 15. 11. eröffnet die Inszenierung Die Blechtrommel des deutschen Regisseurs und Dramatikers Armin Petras das Festival. Der große Roman von Günter Grass wird als Koproduktion des Theaterfestivals mit dem Theater Am Geländer auf die Bühne gebracht, mit einem tschechischen Ensemble in einer eigenen Adaption des großen deutschen Regisseurs. Diese nachdenkliche und tragikomische Freske der Geschichte des 20. Jahrhunderts, aus der die Menschheit offenbar noch immer nicht gelernt hat, wird anlässlich des 80. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs gezeigt.
Das Prager Theaterfestival deutscher Sprache möchte die tschechische Theaterszene motivieren: einerseits durch seine Haupttätigkeit in Form von neuen Impulsen aus dem deutschsprachigen Theater, aber auch direkt durch die Vergabe des Josef-Balvín-Preises für die beste tschechische Inszenierung eines ursprünglich deutschsprachigen Textes. Eine neue Jury der Plattform Podhoubí hat aus 30 Kandidaten die drei besten Produktionen augewählt. Die Gewinnerinszenierung, Wolfram Lotz’ Die Lächerliche Finsternis in der Regie von Martina Schlegelová, wird am 16. 11. im Theater Komödie gezeigt. Das Stück ist ein intelligenter, witziger und unkonventioneller Kommentar zur Situation der heutigen „westlichen“ Gesellschaft: Wie gehen wir mit dem kolonialen Erbe um? Wer ist heute Träger von Zivilisation und wer Barbar?
Außergewöhnlich intensive Theatererlebnisse bieten auch die weiteren Festivaltage: Am 19. und 20. 11. zeigt das Theater Pod Palmovkou Thorsten Lensings gefeierte Inszenierung Verrückt nach Trost. Zwei Kinder spielen am Strand das „Mama-und-Papa-Spiel“: Die Geschwister Felix und Charlotte haben sich dieses Ritual in Erinnerung an ihre verstorbenen Eltern ausgedacht, um ihrer Trauer und ihrem Wunsch nach Liebe und Trost Ausdruck zu verleihen. Das Publikum begleitet die beiden über mehrere Jahrzehnte hinweg und erlebt mit ihnen ebenso komische, surreale wie berührende Episoden. Dabei geht es um nichts weniger als um das Leben im Angesicht des Todes, um die Angst, den eigenen Weg nicht gefunden zu haben, und um die große Sehnsucht nach dem Gefühl, wirklich am Leben zu sein.
Am 22. 11. betritt das Ensemble des Thalia Theater Hamburg die Bühne des Theater in den Weinbergen mit Der Apfelgarten, einer „kattendüsteren Komödie“ nach Anton P. Tschechow, bearbeitet von Dörte Hansen und Antú Romero Nunes. Im Alten Land blühen die Apfelbäume. Aber wie lange noch? Astrid von Holt ist nach Jahren des Vergnügens aus Berlin zurückgekehrt. Ihr Hof und der Apfelgarten der Familie sollten schuldenhalber verkauft werden. Vielleicht könnte sich noch alles zum Besseren wenden, denn der tüchtige Geschäftsmann Torben Grabowski hat einen ganz konkreten Vorschlag: Tiny Häuser statt Apfelplantage! Aber ist das die Lösung?
Zum vierten Mal richtet das Festival einen Open Call für junge Talente aus. Ziel ist die Förderung interessanter Autorenprojekte von Studierenden und Absolventen deutschsprachiger Kunsthochschulen, denen das Festival geeignete Aufführungsorte und Propagierung ihres Schaffens bietet. Aus der herausfordernden Auswahl ging die Inszenierung Yakamoz der Autoren und Darsteller Ali Kandaş und Onur Kurtulmuş von der Hochschule der Künste Bern als Gewinner hervor. Yakamoz ist am 29. und 30. 11. im Theater DISK zu sehen.
Der Theaterausflug führt am 30. 11. in das 1890 gegründete bekannte Berliner Theater Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zur Inszenierung Wachs oder Wirklichkeit. Regisseur Christoph Marthaler beschäftigt sich mit der Frage, was wirklich ist und was nicht. Bisher konnten er und die Seinen ja durchaus darauf bauen, dass das Nicht-Wirkliche nicht automatisch das perfekt Gefälschte ist, sondern (im interessantesten Fall) das Surreale. Doch die Zeiten sind mittlerweile hellblau und die lautesten Untertöne dumpf. Spätestens jetzt braucht es den Blick für das Wesentliche und die Kraft, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Und Marthaler samt Ensemble haben exakte Vorstellungen, wie das gehen könnte!
Ein schreckliches Geheimnis umgibt den schlesischen Luftkurort Görbersdorf. Jedes Jahr kommt im nahen Wald ein junger Mann ums Leben. Hier trifft sich am Vorabend des Ersten Weltkrieges eine Gruppe Männer zur Kur. Während die Patienten, in intellektuellen Gesprächen versunken, die Höhenluft genießen, erzählt man sich, dass die Empusen – weibliche Rachegeister – schon nach ihrem nächsten Opfer suchen… Das DOX+ im Prager Stadtteil Holešovice empfängt am 3. und 4. 12. das Theater Basel mit dem Stück Empusion von Olga Tokarczuk, dramatisiert von Lucien Haug und in der Regie von Antú Romero Nunes.
Am 6. 12. bringt das Schauspielhaus Wien Verbranntes Land ins Theater Pod Palmovkou. Eine Stadt in der Sommerhitze. Täglich verschwinden hier Menschen. Während die Polizei sich kaum dafür interessiert, ist für Anna und Eireni schnell klar, dass es sich um rassistische Gewalttaten handeln muss. Statt auf ihr erstes Date zu gehen, schleichen sie sich in das Sommerlager einer völkischen Bewegung, um auf eigene Faust zu ermitteln. Was braucht es wirklich, um dem Faschismus entgegenzutreten? Strategie, Allianzen und Vertrauen? Oder Mut, Liebe und Tatendrang? Autorin des Stücks ist Eve Leigh, die Regie übernahm Tobias Herzberg.
Für das große Finale im Ständetheater sorgt am 11. 12. das Deutsche SchauSpielHaus Hamburg. Die berühmtesten Gründungsmythen der europäischen Zivilisationsgeschichte stammen aus der Stadt Theben. Hochaktuell sind die Konflikte, die die Tragödien des thebanischen Sagenkreises verhandeln und die seit langem unter der Oberfläche moderner Gesellschaften rumoren. Analog zum Begriff des „Anthropozän“, dem Zeitalter des Menschen, wurde die fünfteilige Serie Anthropolis konzipiert, die sich den „Ungeheuern“ innerhalb und außerhalb des zivilisatorischen Bollwerks „Stadt“ stellen will. Dem Festivalpublikum wird als Kostprobe dieses Theatermarathons der zweite Teil Laios präsentiert.
Das diesjährige Off-Programm bietet unter anderem am 12. 11. das musikalisch- dokumentarische Projekt Friedensstifter der Gruppe Das Thema / To téma und der Dresdner Sinfoniker im Divadlo X10. Die internationale Konferenz Kunst und Wissenschaft: Denken über Grenzen hinweg behandelt vom 18. – 20. 11. Resonanzen, Spannungen und Schnittstellen zwischen Kunst, Natur- und Technikwissenschaften sowie gesellschafts- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Der Workshop Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue zu Nachhaltigkeit in Szenografie und Kostümbild findet am 24. und 25. 11. im Goethe-Institut Prag statt. Das Studio Hrdinů lädt am 28. und 29. 11. zur Aufführung von Das Tagebuch der Anne Frank in der Dramatisierung von Miroslav Bambušek ein. Am 1. 12. folgt eine Lesung aus Rilkes Duineser Elegien in der neuen Übersetzung von Ivan Chvatík im Goethe-Institut Prag.
Das Festival findet unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Tschechischen Republik, Herrn Petr Pavel, des Kulturministers, Herrn Mgr. Martin Baxa und des Bürgermeisters, Herrn doc. MUDr. Bohuslav Svoboda, CSc., statt.