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Der Autor

Christina Kettering, geboren 1980 in Werne, studierte von 2000 bis 2005 Prosa und Dramatik/Neue Medien am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.

Im Anschluss an ihr Studium war sie als Dramaturgin an verschiedenen Theatern tätig. Sie organisierte Lesungen und Veranstaltungen in Köln und entwickelte Performances im öffentlichen Raum in Berlin-Kreuzberg.

Seit 2008 lebt sie in Berlin und arbeitet als freie Dramaturgin sowie als Projekt- und Kursleiterin bei ACT e. V. Heute arbeitet sie im Bereich der Kulturellen Bildung und schreibt Theaterstücke für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Ihr Stück „Antarktis“ wurde 2015 im Hamburger Sprechwerk uraufgeführt und 2019 veröffentlichte sie das Theaterstück „Keine Lieder“. Zurzeit arbeitet sie an ihrem neuen Roman „Fremde Tage“ über die Zeit zwischen den Fall der Berliner Mauer und die Vereinigung Deutschlands.

Bildnachweis:
© Maria Zillich

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| | | 26.2.2020

Tourist sein

5.11.

 

Tourist sein

Die touristischen Zentren beliebter Städte schrecken mich ab und faszinieren mich zugleich. Mein erster Ausflug in Prag führt mich also direkt ins Herz der Finsternis –Schocktherapie machen. Dass man – aufgrund der Baumaßnahmen auf der Straße – am Wasserturm vorbei zur Karlsbrücke nur durch eine überdachte Straße kommt, die den Gehenden durch ein Spalier blinkender Souvenirläden zwingt, wirkt da wie ein ironischer Kommentar. Entrance through the gift shop. Russischen Matrjoschka-Puppen werden hier ebenso als typisch-authentische tschechische Tradition angepriesen, wie das böhmische Kristall.

Der Reisende ist nur ein Tourist, der abstreitet einer zu sein, sagt Marco d´Eramo, und auch ich will keiner sein. Ich will dazugehören, nicht auffallen, mich einfügen, aber natürlich falle ich auf, stehe blöd im Weg rum, stottere, wenn mich jemand anspricht, weil mir vor Verwirrung kurz auch das Englische nicht mehr einfällt, und zücke manchmal verstohlen mein Handy, um ganz schnell ein Bild zu machen, das dann so verwackelt oder schief ist, dass ich es gleich wieder lösche. dobry den, na shledanou und Děkuji

reichen nicht, sich ausreichend zu tarnen, da fliegt man sprachlich schnell auf. Dem Tourist-sein entkommt man nicht. Auch dann nicht, wenn man vier Wochen da ist und so etwas heute staycation genannt wird, wie ich unlängst gelernt habe. Während ich mich auf der Karlbrücke unauffällig neben eine Karlbrücke-in Aquarell-Malerin stelle und die unbefangenen asiatischen Reisegruppen bewundere, frage ich mich, ob es bereits eine vergleichende Kulturgeschichte der touristischen Scham gibt. Jetzt, unter der Woche und im November, ist bereits gut zu erahnen, unter welcher Last die Stadt in den Sommermonaten ächzen muss. Früher, denke ich, während ich ein älteres amerikanisches Paar beobachte, das sich vor einer Reisegruppe in Sicherheit bringt, war das Reisen selbst Distinktionsmerkmal. Heute, nachdem der Pauschaltourismus auch das Urlaubmachen demokratisiert hat, ist es das richtige Reisen. Ob es das in einer Zeit, in der auch der Individualurlaub zur Marketingstrategie und zum Massenphänomen geworden ist und Airbnb für die Städte ein größeres Problem ist, als Billig-Hostels überhaupt noch geben ist, ist zurzeit sehr fragwürdig. Wenn die Lust am Entdecken fremder Orte verloren ginge, wäre es dennoch schade. Das Reisen wieder zu etwas Exklusiven zu machen, dass sich nur wenige leisten können – wie es mittlerweile teilweise gefordert wird – kann auch nicht die Lösung sein. Ich habe für heute jedenfalls genug, verlasse meinen Beobachtungspunkt neben der Karlsbrückenmalerin und gehe an der Moldau entlang zurück in meine herrschaftliche Gastwohnung (mit Blick auf den Fluss, den Petřín und, wenn ich den Hals etwas recke, die Prager Burg), in der es so leicht fällt, sich nicht als Touristin zu fühlen.

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