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Mittelböhmen | Rubrik: Reise | 5.12.2014

Morbide Schönheit aus menschlichen Gebeinen: die Knochenkirche in Kutná Hora

Katholisches Gotteshaus im Gothic-Design: Gruft für 40.000 Menschenschädel

Kutná Hora/Prag - Nur eine Autostunde von der tschechischen Hauptstadt entfernt, etwa 70 Kilometer südöstlich von Prag, liegt die Stadt Kutná Hora (Kuttenberg), deren historischer Kern ein architektonisches Kleinod von europäischer Bedeutung ist.

Neben der Altstadt, die 1995 in das UNESCO-Verzeichnis des Weltkulturerbes aufgenommen wurde, ist ein weiterer Anziehungspunkt für in- und ausländische Touristen die Knochenkirche (Kostnice) im Stadtteil Sedlec.

Aus den Gebeinen von etwa 40.000 Menschen wurde hier der Innenraum einer kleinen Kapelle in penibler künstlerischer Kleinstarbeit ausgeschmückt.

Von filigranen Kronleuchtern bis hin zu imposanten meterhohen Glocken aus Schädeln und Oberschenkelknochen ist im Sedletz-Ossarium alles im wahrsten Sinne des Wortes aus Menschenmaterial.

Ein idealer Ort für schwarze Messen, sollte man meinen. Doch tatsächlich handelt es sich bei der Knochenkirche um ein katholisches Gotteshaus und so findet man hier auch sämtliche Utensilien des katholischen Gottesdienstes - liebevoll aus Menschenknochen gestaltet.

Gottesdienste finden in der Kirche allerdings heute keine mehr statt. Und wenngleich also keineswegs Satanisten am Werke waren, so kann man sich dem Gefühl einer gewissen Morbidität des Gesamtkunstwerks nicht entziehen - im Angesicht der Tausenden leeren Augenhöhlen, die einen anzustarren scheinen. Waren der oder die Macher nicht vielleicht doch aus heutiger Sicht ein Fall für den Psychiater?

Vorgeschichte

Die Gegend um Kutná Hora wurde schon im 10. Jahrhundert besiedelt. Ein Hinweis darauf sind die altertümlichen, ursprüngliche romanischen Kirchen in Záboří nad Labem und in Malín. Malín war eine Burgstätte der Slavníkovcer. Nach deren Ermordung im Jahr 995 übernahmen die Herrschaft die Markvarticer. Einer von ihnen, Miroslav von Cimburk, gründet in Sedlec das älteste Kloster der Zisterzienser in Böhmen. Im Jahr 1142 beruft er nach Sedlec die ersten zwölf Mönche aus Waldsassen in der Oberpfalz.

Die spätere Entdeckung von Silbererz, die den dem Mönch Antonín aus dem Kloster in Sedlec zugeschrieben wird, brachte nicht nur Kutná Hora, das im Jahr 1276 entsandt, zu Reichtum und Berühmtheit, sondern garantierte auch die Mittel zur Finanzierung des Baus der monumentalen Kirche Mariä Himmelfahrt in Sedlec, die in den Jahren 1280 bis 1320 gebaut wurde. In dieser Zeit wurde auch auf dem dortigen ausgedehnten Friedhof eine Kapelle gebaut, die heutige Knochenkirche.

Der Tradition gemäß wurde im Jahr 1278 der Abt des Klosters Sedlec Jindřich (Heinrich) mit einer Botschaft Přemysl Otakar II. nach Jerusalem geschickt, von wo er eine Hand voll Lehm vom Kalvarienberg mitbrachte und diese auf dem Friedhof von Sedlec verstreute. Der Friedhof bekam dadurch den Ruf einer heiligen Erde. Seit dieser Zeit wurden hier nicht nur viele Menschen aus der näheren Umgebung begraben, sondern auch aus dem Ausland, insbesondere aus Polen, Bayern und Belgien. Tausende Menschen fanden hier auch ihre letzte Ruhestätte während der großen Pestepidemien. Alte Chroniken geben an, dass hier während der großen Pest im Jahr 1318 etwa 30.000 Menschen beerdigt wurden.

Die Zahl der Gräber wuchs dann nochmals deutlich während der Hussitenkriege. Im Jahr 1421 brannten Hussiten das Zisterzienser Kloster nieder und massakrierten an die 500 Mönche. Damals war Kutná Hora die erste Stadt nach Prag, hier befand sich die Residenz der böhmischen Könige und einer Münzstätte. In der Umgebung von Kutná Hora fanden einige Schlachten statt, von denen die größte die Schlacht bei Malešova im Jahr 1424 war. Von der Zahl der Opfer zeugt auch die damalige Ausdehnung des Friedhofs, die zu der Zeit etwa 3,5 ha betrug.

Nach den Hussitenkriegen kam es zur schrittweisen Einebnung und Auflösung von Teilen des Friedhofs. Die Gebeine wurden dabei zunächst um die Kapelle herum gelagert und später in ihren hinteren Teil verlegt. Hier ordnete sie erstmals im Jahr 1511 ein halbblinder Mönch zu sechs Pyramiden.

Knochenarbeit

Im Jahr 1784, wurde im Rahmen der von Kaiser Josef II. betriebenen Klosterauflösungen dann auch das Kloster in Sedlec aufgelöst. Dass die Sedlecer Kapelle zum dem bizarren Schmuckstück wurde, das sie heute ist, verdankt sie dem Fürstengeschlecht Schwarzenberg aus Orlík. Diese hatte das Anwesen 1866 gekauft den Holzschnitzer František Rint damit beauftragt das Interieur neu zu gestalten - so kunstvoll wie möglich. Rint desinfizierte sämtliche Gebeine und präparierte sie mit chlorhaltigem Kalk, wodurch sie bis heute, mehr als 130 Jahre später, gut erhalten sind.

Von den ursprünglich sechs Pyramiden trug er zwei ab, deren Knochen er für die Ausschmückung der Kapelle verwendete. Die übrigen Knochen, immerhin etwa 40 Kubikmeter, beerdigte er mit Pietät in der Erde des Friedhofs.

Einige Details des Schmucks der Friedhofskapelle verdienen etwas genauere Aufmerksamkeit. In der Eingangstür findet sich in lateinischer und griechischer Sprache die Inschrift IHS, eine Abkürzung für Jesus Hominum Salvator - Jesus, der Erlöser der Menschheit. Und gleich rechts unten am Fuße der Treppe hat sich der Künstler selbst mit einer Inschrift verewigt: František Rint z České Skalice - 1870. In den Flügeln der Unteren Kapelle sind die beiden Dominanten die meterhohen Pyramiden aus Knochen, die lose in einer Holzkonstruktion aufgeschichtet sind und in ihrer Gestalt Glocken ähneln.

In der Mitte der Kapelle hängt ein Kronleuchter, in dem alle 206 Knochen des menschlichen Körpers verbaut sind. Unter dem Kronleuchter befindet sich der Eingang zur Gruft, in der die Überreste von 15 reichen Bürgern aus Kutná Hora ruhen.

In den Nischen des Hauptaltars befinden sich die Monstranzen, die traditionell zur Aufbewahrung der Hostien genutzt werden und aus einem Schädel gebildet sind, der von Sonnenstrahlen aus Oberschenkel- und Kreuzbeinknochen umkränzt ist.

An der Wand im linken Teil der Kapelle ist das Wappen der Schwarzenbergs in Form einer Knochenassemblage nachgebildet. Im rechten unteren Feld ist ein Rabe zu erkennen, der das Auge eines Türken hackt, was den Sieg der Schwarzenbergs über die Türken in der Schlacht bei Rábu im Jahr 1591 verbildlicht. In den beleuchteten Glasvitrinen sind einige Schädel von Kämpfern der Hussitenkriege ausgestellt. Die eingeschlagenen Schädel erinnern daran, lassen ahnen, wie brutal auch mit mittelalterlichen Waffen Kriege geführt wurden.

Der aus Knochen gebildete Buchstabe R, an der Säule der rechten hinteren Pyramide steht für die Initialen der Namen Reiman (der Direktor des Guts der Schwarzenbergs, von dem die Erneuerung die Allerheiligen-Kirche finanziert wurde), Rajský (der Baumeister, der die Renovierung durchführte) und eben des Holzschnitzers Rint, dem Autor des Knochenensembles.

Gegenwart

Zwar bleibt die Frage nach dem Geisteszustand des František Rint unbeantwortet, für sein Seelenheil jedenfalls dürfte dank der einzigartigen, wenn auch etwas makabren Ausschmückung der Kirche und der würdigen Bestattung der übrigen Gebeine gesorgt sein. Sicher jedoch ist, dass der bauliche Zustand der Kirche Anlass zur Sorge gibt. Die Bausubstanz ist so stark angegriffen, dass man sich einen neuen Direktor Reimann wünschte, der die Sanierung des Gebäudes finanziert.

Überall brechen tellergroße Brocken Putz von Wänden und Decken, der Altar zerbröselt, ebenso wie die Kanzel. Besonders bedenklich sieht eine der stützenden Holzkonstruktionen der Gebeinpyramiden aus: Es fehlen nur noch wenige Zentimeter und ein tragender Balken schmiert ab.

Man kann nur hoffen, dass die Betreiber der Kirche von den Einnahmen von etwa 140.000 Besuchern jährlich auch Geld für die längst überfällige Sanierung der Kirche beiseite legen und nicht warten, bis es zu spät ist und die Gebeinpyramiden in sich zusammenfallen, wie ein Haufen Apfelsinen in dem Werbespot für einen Supermarkt. (nk)

Autor: Niels Köhler
Zuletzt aktualisiert: 16.8.2016
Weitere Infos: www.kostnice.cz

Info

Kostnice

Zámecká 127
284 03
Kutná Hora - Sedlec
Region: Mittelböhmen (Středočeský kraj)
info@kostnice.cz

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