Prag - Es war eine dunkle und stürmische Nacht, aber zum Glück hatte ich Zuflucht gefunden in einem großen Keller voller Menschen und böhmischen Bieres. Ich drängte mich gerade vom Tresen zurück durch die Menge, als mir eine Videoprojektion auf der Wand auffiel. Es war Rammstein, ein Musikvideo, eine Liveaufnahme.
Von der Musik mag man ja halten, was man will, aber die Performance ist aller erste Klasse. Es ist als würde die Dekoration sämtlicher Trashfilme auf einmal zum Einsatz kommen.
Kettensägen, Stahlgerüste, Kunstblut und Fässer mit radioaktivem Abfall. Alles blinkt und leuchtet, Funken sprühen, Nebel zieht auf. Aber nicht auf diesem Video. Auf diesem Video singen sie nur, spielen, mit vollem Einsatz zwar, aber ohne Pyroeffekte. Nanu, aber warum sind denn da so wenig Leute? Ich dachte immer Rammstein spielen nur in großen Fußballstadien oder im Kolosseum. Und was ist das? Das Logo kenne ich doch!? Da sehe ich hinter mich und Grundgütiger! Da stehen die Jungs von Rammstein auf der Bühne, leibhaftig. Und die Menge tobt.
Das ist natürlich alles Quatsch. Ich bin nicht zufällig auf ein Rammsteinkonzert gekommen. Es ist eigentlich noch besser: Ich bin auf ein Rammstein-Revival-Konzert gekommen. Da sind also Menschen, die tagsüber ein normales Leben führen, so wie Sie und ich und sich nachts wie ihre Superhelden aus der Musikwelt anziehen, Gitarrensoli zocken und das Mikrophon rocken. Und in Prag gibt es davon nicht nur eine oder zwei, sondern eine ganze aktive Szene. Die meisten Konzerte finden im Musikclub Vagon statt, der im Palác Metro an der Nationalstraße gleich gegenüber dem Café Louvre liegt.
Manche Musiker spielen gleich in mehreren Revival-Bands
"Total yeah", versichert mir Miroslav "Sanctus" Seidl, die Szene sei gut vernetzt, sie kennen sich alle gegenseitig und treten auch gemeinsam auf. Er selbst steht gleich bei mehreren Revivalgruppen an der Gitarre. Auf der Bühne macht er mit seinen Bandkollegen als "Black Sabbath" Stimmung wie das Original. Heute nicht mehr so skandalös, aber dafür sehr authentisch. Der Sänger hüpft froh wie ein Kind auf der Bühne herum. Mit seiner Statur und in der Perücke sieht er dem echten Ozzy zum verwechseln ähnlich. Vielleicht war das Equipment nicht einmal halb so teuer wie beim großen Vorbild, der Sound stimmt aber zu 100%. Auch die Soli sitzen, sogar die eingespielte Sequenz aus der Carmina Burana sitzt goldrichtig.
Nach dem Konzert wirkt die Gruppe sehr bodenständig und fast schon schüchtern. Sie schicken ihren Drummer vor, der am besten englisch spricht und gehen ganz nach hinten an die Bar, um noch ein Bier zu trinken mit alten Bekannten. Ich frage, ob sie nicht fürchten arbeitslos zu werden, weil die echten Black Sabbath zurück auf die Bühne kommen, aber Fehlanzeige. Die Revivalbandszene lebt nicht von der Abwesenheit ihrer Stars, sondern von der Bekanntheit ihrer Lieder, erklären sie mir. Die Freude besteht darin, Musik, die dich fasziniert, mit anderen zu teilen.
Ähnlich sieht das auch Joe von Electric Lady aus Bratislava. Electric Lady spielen Lieder von Led Zeppelin, aber mit einer Frau am Mikrofon. Sie sind keine typische Revivalband, betont er. Wichtig ist ihnen Improvisation und die Songs auf ihre Weise zu spielen. Dafür packt Joe beim Gitarrensolo auch den Geigenbogen aus. Das Ergebnis klingt genial. Und es sieht gut aus. Die Musiker haben Freude am Auftritt und das Publikum mit ihnen.
Sie sind erst zum zweiten mal im Vagon und haben mit dem Rest der Prager Szene nichts zu tun. Eine Sängerin für Led Zeppelin, das habe er zum ersten mal bei Pink gesehen und es habe ihm gefallen. Und tatsächlich klingt es gut. Viel besser, als wenn ich mir eine Männerstimme vorstelle, die kläglich versucht, Robert Plant zu kopieren. Nach dem Auftritt räumen sie eilig zusammen und verstauen ihre Ausrüstung in den Lieferwagen. Es gibt noch Gigs in ganz Europa zu spielen. (alg)