Prag - Der dritte Teil der Kirchenserie handelt von einer altehrwürdigen Prager Dame: der Kirche St. Martin in der Mauer.
Ihre Geschichte beginnt mit der Einweihung Ende des 12. Jahrhunderts. Damals liegt die Kirche noch nicht in Prag, sondern einer kleinen Siedlung, die ebenfalls den Namen St. Martin trägt. Als 50 Jahre später damit begonnen wurde, die Prager Altstadt mit einer Mauer zu befestigen, verläuft diese auf einmal mitten durch den Pfarrbezirk und damit durch die Kirche.
Sie wird in die Stadtbefestigung einbezogen, denn die Südwand der Kirche ist ein Teil der Stadtmauer. Obwohl diese inzwischen längst wieder verschwunden ist, trägt die Kirche den Namenszusatz "in der Mauer", der auf diesem Umstand verweist, bis heute.
Noch einmal hundert Jahre später, um 1350, befinden wir uns in der Blütezeit Prags unter Karl dem IV. Dessen umfassenden städtebaulichen Maßnahmen gingen auch an der Kirche nicht spurlos vorüber, und so erfuhr der ursprünglich einschiffige romanische Bau seinen ersten gotischen Umbau. Das zwischen 1360 und 1370 entstandene Kreuzrippengewölbe des Chores zählt zu den ältesten Tschechiens. 1414 geriet die Kirche in den Mittelpunkt der böhmischen Reformation, denn hier wurde zum ersten Mal das Abendmahl in beiderlei Gestalt gefeiert.
1488 sind die wichtigsten Umbauarbeiten schließlich abgeschlossen und die Kirche hat bereits im Wesentlichen ihr heutiges Aussehen. Auch die beiden Seitenschiffe stammen aus dieser Zeit. Der Umbau wurde vor allem von der Familie Holec finanziert, die sich von der Kirche aus eine Holzbrücke direkt in ihr Wohnhaus bauen ließ. Die Spuren dieser Brücke und ihres Geländers sind bis heute an der Außenwand zu erkennen.
Bis 1620 blieb die Kirche hussitisch, dann geht sie in Besitz der katholischen Kirche über. 1678 zerstörte ein Brand große Teile der Kirche. Im Zuge der Wiederaufbauarbeiten wurde der obere Teil des Turmes umgebaut, was sein etwas fremdartiges Aussehen erklärt.
Das barocke Nordportal schließlich stammt von einem Umbau von 1779 und markiert den vorläufigen Endpunkt der geistlichen Geschichte dieser Kirche. Denn bereits fünf Jahre später, 1784, wurde der Bau profanisiert und zu Lager- Laden- Wohnflächen umgestaltet. Dieser Zustand hielt bis Ende des 19. Jahrhunderts an, und so ist auf einigen historischen Fotografien und Gemälden ein Gebäude zu sehen, das eine seltsame Mischung aus Kirchen- und Wohngebäude darstellt.
Erst 1905 wurde das Gebäude wieder zu einer Kirche zurückgebaut und restauriert. Aus dieser Zeit stammt auch der letzte Umbau, am Giebel des Turmes. Zur gleichen Zeit ging die Kirche auch in Besitz der Stadt über, welche sie wiederum an die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder vermietete.
Vom Friedhof, der die Kirche lange Zeit umgab, ist heute leider nichts mehr zu sehen, nur eine Grabplatte an der Außenwand und einige weitere im Inneren erinnern daran. Ansonsten hat das Gebäude die Jahrhunderte jedoch recht gut überstanden und präsentiert sich heute als einer der wenigen weitgehend unverfälschten romanisch-gotischen Kirchenbauten in Prag. Besonders das Innere mit seiner klaren, unaufgeregten Raumgliederung kann für das von der Vielfalt und Pracht der Baustile in Prag erschöpfte Auge eine Wohltat sein.
Und auch für das seelische Wohl ist gesorgt, ist doch St. Martin in der Mauer die Kirche, in der die deutschsprachige evangelische Gemeinde Prags ihre Gottesdienste abhält. Außerdem finden hier auch Konzerte statt. (bj)
Autor: Benjamin Friedrich
Zuletzt aktualisiert: 5.5.2016
Weitere Infos: www.evprag.cz
Info
Kostel svatého Martina ve zdi
Martinská 8
110 00
Praha 1
Region: Hauptstadt Prag (Hlavní město Praha)
E-Mail: gemeinde@evprag.cz
Die Region
Prag - Die Hauptstadt der Tschechischen Republik ist eine moderne Metropole und gleichzeitig ein architektonisches Juwel. Ihr historischer Kern gehört zu den Denkmälern des Weltkulturerbes der UNESCO, Prag ist aber auch ein Ort, an dem ein nie... mehr ›
Auch interessant
Weitere Beiträge aus der Reihe
-
Wissen und Weisheit der Menscheit - im Kloster Strahov sorgsam gehütet seit Jahrhunderten
-
Gotteshaus in Brüx musste Braunkohletagebau weichen - und wurde um 841 Meter versetzt
-
Katholisches Gotteshaus im Gothic-Design: Gruft für 40.000 Menschenschädel
-
Prager Kirchen, Teil 5: St.-Ignatius-Kirche, St. Johannes Nepomuk am Felsen, Sankt-Marien-Kirche
-
Prager Kirchen, 4. Teil - Zufluchtsort der Heydrich-Attentäter: Chrám svatých Cyrila a Metoděje
-
Prager Kirchen - Teil 2: Wo der Reformator Jan Hus predigte
-
Prager Kirchen - Teil 1: Kostel Nejsvětějšího srdce Páně in Vinohrady