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| | Panorama | 11.11.2008

Yes, I can! US-Wahlen im Selbstversuch

Es hat schon etwas von einer großen Show, wenn in Amerika Wahlkampf betrieben wird. Drehbuchreife Auftritte, Tränen, Schweine mit Lippenstift – kurz: Dramatik pur. Grund genug finde ich, um sich in diesem Jahr einmal von der Wahlbegeisterung anstecken zu lassen. Der kühne Plan: die Wahlnacht im Selbstversuch. Die Erkenntnis: Keine großen Überraschungen, aber dennoch sehr empfehlenswert.

Neun Uhr abends, ich bin hoch motiviert, wenn auch ein bisschen müde. Doch der Plan, die heutige Nacht so lange wie möglich vor dem Fernseher zu verbringen, steht schon zu lange, um ihn einfach zu verwerfen. Wenn die ganze Welt gefesselt an der Mattscheibe hängt, um die Wahl des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten zu verfolgen, will ich natürlich nicht fehlen.

Ein Blick in die Cafes mit Großleinwänden und Liveübertragung holt mich jedoch auf den Boden der Tatsachen zurück. Mit einem Sitzplatz wird es heute wohl nichts. Das auserkorene Café platzt bereits aus allen Nähten. Kein Platz für uns, eine internationale Studententruppe. Eine junge Studentin im Pullover mit Connecticut-Aufdruck kommt auf uns zu. „Trinkt lieber woanders erst einmal einen Kaffee. Hier tut sich vor Mitternacht ohnehin noch nichts“, lautet ihr Rat.

Wir machen uns erneut auf die Reise, vertrödeln die Zeit und finden doch noch Platz in einer Sportsbar mit Großleinwänden, Bildschirmen und Amerikaflagge an den Wänden. Zehn Minuten bis Mitternacht, die ersten Umfrageergebnisse sind nah. Alles fiebert dem Countdown entgegen. Gerade noch sorgen die CNN-Nachrichten von letzten Kampagnen und schier endlosen Wartezeiten vor den Wahlkabinen für ein Raunen im Saal. Um 0:23 Uhr dann aber die ersten Prognosen. Kentucky stimmt für McCain, Obama hat in Indiana die Nase vorn. Erster Beifall, ein junger Amerikaner im Obama- Shirt zeigt seine Meinung sehr deutlich. Neugierig halte ich Ausschau nach McCain-Anhängern, kann aber noch keinen ausmachen.

Die nächsten Prognosen lassen auf sich warten, die anfängliche Euphorie ist bereits etwas abgeflaut. Ich lasse meinen Blick durch den urigen Gewölbekeller schweifen und entdecke eine große Box. „Cast your own ballot“ – stimme selbst ab, so lautet die Aufforderung. Warum nicht, denken wir, und füllen eifrig Zettel aus, die geschäftig im Hintergrund debattierenden Wahlexperten für ein paar Minuten mit Nichtachtung strafend. Eine Flasche französischer Wein oder zwei Theaterkarten locken als Preise für die Wahl.

Zwei Uhr morgens, die Bar ist voll. Nach und nach trudeln immer mehr Menschen in der Bar ein. Obama liegt mit 77 Wahlmännern vorne. Meine Mitbewohnerin packt ihre Unisachen aus und erledigt ihre Hausaufgaben, mein Notizblock füllt sich derweil mit Zeichnungen kleiner Männchen. Die nächsten Ergebnisse sollen erst in einer halben Stunde folgen. Dann aber ein Jubelschrei und Applaus aus einigen Ecken. New Hampshire und Pennsylvania geben ihre offiziellen Ergebnisse bekannt: Obama kämpft sich nach vorne.

In der Sportsbar ist die Wahl bereits sehr deutlich entschieden. 154:15 für Obama lautet das Kundenvotum, der Wein und die Theaterkarten gehen leider an jemand anderen. Wieder nichts.

3:10 Uhr. Der Raum ist fast leer. Wer noch wach ist, beteiligt sich an unserem Tisch an einer heißen Diskussion über Rassismus. Die Wahl gerät zur Nebensache, für uns ist der Ausgang schon klar. Auch CNN hat die Hoffnung für McCain aufgegeben. Meine Nachbarin grübelt bereits über die Siegerrede. „Etwas wie Martin Luther King vielleicht“, glaubt sie.

Lautes Geschrei reißt meinen Nachbar um fünf Uhr morgens aus dem Schlaf. CNN kürt Barack Obama zum Wahlsieger. Auch unser Tisch lässt sich (soweit es die Müdigkeit zulässt) von der Euphorie mitreißen, während die Kellnerin ungerührt um uns herum die Stühle auf die Tische stellt und uns bittet, nach oben zu gehen.

Nach gut fünf Stunden Fernsehen und einigen Kaffees wollen meine Mitstreiter und ich nun auch den Sieger sehen. Es ist kein Martin Luther King, der gegen sechs Uhr morgens vor die Wartenden tritt, seine Rede aber ist einprägsam. Der Hauptslogan verfolgt uns noch eine ganze Weile, nicht zuletzt auf dem Heimweg. „Can we take the metro?“ fragt mein Mitbewohner und bekommt die Antwort unisono: „Yes, we can!“

Bildnachweis:
Kathrin Thomas

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