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Tschechien OnlineTschechien Online | 17.10.2020
Tschechien verspielt Erreichtes: Corona-Oberlehrer wird Problemschüler

Prag - Als im Frühjahr 2020 die erste Coronawelle durch Europa rollte und mit Rückkehrern aus dem Skiurlaub von Italien aus nach Tschechien schwappte, fackelte die tschechische Regierung nicht lange. Schon Mitte März rief sie den Notstand aus, schloss die Grenzen und erließ einen landesweiten Lockdown. 

Tschechien war damals nicht nur Vorreiter bei der Einführung der Maskenpflicht, sondern spielte sich geradezu als Oberlehrer auf (Video: "How to Significantly Slow Down The Coronavirus? #masks4all)". Tatsächlich gelang es dem Land damals schnell, die Corona-Ausbreitung einzudämmen und die Zahl der neuen Covid-19-Fälle lange auf niedrigen Niveau zu halten. Offizielle Corona-Todesfälle bis 30. September: insgesamt 671. 

Doch umsonst war dieser Erfolg nicht. Zu den ersten Verlierern gehörten Gastronomie und Fremdenverkehr. Um die wirtschaftlichen Verheerungen der Anti-Covid-Maßnahmen zu mildern, wurden im Eiltempo staatliche Hilfsprogramme verabschiedet: nämlich "Anti-Virus" A, B, C, D, Ende offen.  

Internet als Fenster zur Welt

Dabei führte der Lockdown je nach Altersgruppe aus naheliegenden Gründen von der Couch ins Internet - und/oder vor die Glotze. So startete das öffentlich-rechtliche Tschechische Fernsehen (ČT) etwa eine tägliche Schulsendung (UčíTelka) und für Senioren gar ein eigenes Programm (ČT3). Letzteres setzt auf die Wiederholung alter Fernsehserien und Unterhaltungssendungen der untergegangenen kommunistischen Tschechoslowakei (also aus der Jugend der betagten Risiko-Zielgruppe).

Doch die Jüngeren zieht es ins Internet. Tatsächlich ergab eine vom Nachrichtendienst Novinky.cz eröffentlichte Umfrage, dass während des Lockdowns im Frühjahr 70 Prozent der Tschechen Online-Einkäufe tätigten. Am häufigsten wurden dabei Bekleidung und Lebensmittel bestellt. Jeder vierte Tscheche gab sogar an, dass er im Internet Waren gekauft habe, die er sich unter normalen Umständen nicht in einem E-Shop geordert hätte. 

Eine Chance waren Quarantäne und soziales Distancing nicht nur für Lebensmittellieferdienste, wie zum Beispiel Rohlik.cz und Damejidlo.cz, auch etliche kleinere spezialisierte E-Shops profitierten selbstverständlich von Ausgangssperren und Ladenschließungen und verdanken ihre Entdeckung Covid-19.

Und kein Wunder, dass wenn am Ende eines langen Tages dann auch das Homeoffice zugemacht wird, so mancher Zerstreuung und Nervenkitzel in Parallelwelten sucht, wie etwa in der Welt der Online-Casinos. Wer erst einmal eintaucht in die virtuellen Räume voller Black Jack, Roulette, Poker und Co. verliert jedoch mitunter nicht nur das Zeitgefühl (wie Rick Riordans Fantasy-Romanfigur Percy Jackson mit seinen Weggefährten im realen Las Vegas), sondern auch schnell die Übersicht im Angesicht des unermesslichen Angebots.

So hat beispielsweise allein die moderne Spielbank Wunderino (früher sagte man: "bekannt aus Funk und Fernsehen") deutlich über 1000 Spiele im Angebot und es kommen ständig neue hinzu. Die Spieler können dabei zwischen unzähligen Slots und unterschiedlichen Varianten wählen, hohe und niedrige Einsätze sind möglich (Wunderino Testbericht). Percy Jackson, Annabeth und Grover hätte es auch hier wohl an nichts gefehlt.

"Full House" im Homeoffice

Etwas aus dem Auge gerieten angesichts des drohenden akuten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Corona-Notstands freilich die mittel- und langfristigen sozio-ökonomischen Folgen des Lockdowns. Wie bewältigen Familien mit Kindern, Alleinerziehende das "Social Distancing", das umgekehrt meist auch ein wochenlanges Aufeinanderhocken, also soziale Enge mit sich bringt? Wie organisieren Eltern die Dreifachbelastung aus Homeoffice, Online-Unterricht, Eingesperrtsein? Wie er-leben die Kinder die Situation? 

Dank der Aufhebung fast aller Corona-Beschränkungen zu Beginn der Sommerferien genossen die Tschechen einen sorglosen Sommer und Regierungschef Andrej Babiš sonnte sich daheim wie auch auf internationalem Parkett im Glanze der scheinbar bewältigten Coronaepidemie in seinem Land. Doch von wegen: Mittlerweile sind die oben gestellten Fragen nicht mehr akademischer Natur, sondern zum zweiten Mal brandaktuell.

Mitte Oktober erreichte die Zahl der Neuinfektionen erstmals an einem einzigen Tag die "katastrophale Zahl" (Premier Andrej Babiš) von mehr als 10.000 Fällen, der Anteil der positiven Tests betrug dabei rund 30 Prozent, eine Zahl, die auch die in R-Zahl und Wocheninzidenz geschulte Laienöffentlichkeit in den Nachbarländern Deutschland und Österreich erschaudern lassen dürfte. 

So läuft derzeit in Tschechien alles auf einen zweiten kompletten Lockdown zu. Ersatzweise Trost, Zuspruch, Geselligkeit und Bildung bei Kontaktsperre und Ausgangsbeschränkungen bieten dann wieder das gute alte Fernsehen - oder das Internet. (dap)

Bildnachweis:
Česká televize - Schulsendung des Tschechischen Fernsehens

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