Es ist Prag-Marathon und ich wohne unmittelbar an Kilometer 15, was mich dazu veranlasst, den Vormittag ganz omahaft auf ein Kissen gestützt am Fenster zu verbringen:
Um 9:45 kommen die Gazellen.
Um 9:50 die erste Frau.
Ab 10:10 die Massen.
Um 10:45 schiebt jemand einen Rollstuhl.
Um 11:36 kommt die Stadtreinigung.
Das Wetter wartet die Läufer ab, dann fängt es sogleich wieder an, sich aprilhaft zu benehmen. Regen, Sonne, Regen, Sturm, der mir bei offenem Fenster die Fassade auf den Schreibtisch bröselt und nachts so laut durchs Ofenrohr klappert, dass ich vom hinteren ins vordere Schlafzimmer umziehe und mir dabei vorkomme, wie als Kind, wenn ich nachts aus einem schlechten Traum erwachte und meine Bettdecke hinter mir her schleifend über den Flur ins elterliche Schlafzimmer zog.
Ein Grundsatzproblem im Roman gelöst. Heute ist ein guter Tag.
Wenn ich am Abend auf dem Sofa liege und Bier Tee trinke und eine DVD aus der Bibliothek des Goethe Instituts ansehe, irgendeinen alten Herzog oder Fassbinder, und dann und wann vom Bildschirm aufsehe, aus dem Fenster, wo ein Rest Sonnenuntergang am Himmel über der Burg leuchtet – dann denke ich, ach ja, stimmt, ich bin ja in Prag. Und freue mich. Wie gut das ist, auch in Prag solche Abende zu verbringen, die Stadt zu ignorieren und ein ganz normales Leben anzutäuschen. Und wie gleich es ja auch im Grunde ist – die Arbeit ist dieselbe, die Probleme auch, die Illusionen und die Läden in der Fußgängerzone; das Bier besser, das Brot schlechter, die Freunde ohnehin in der Welt verstreut; aber es gibt ja das Internet, wenn auch nicht hier, es gibt ja Mama Coffee und Handys. Es schreibt sich allerdings besonders gut, mit Blick auf die Moldau; es weint sich allerdings besonders schön, in einem Louis XIV. Bett; es lässt sich allerdings das fremd sein viel leichter ertragen, in einem Land, in dem man tatsächlich fremd ist.