Prag - Posaunenengel haben zur Weihnachtszeit Hochkonjunktur. Ein guter Grund zum Fest eine Auswahl von Blasmusik aus Tschechien zu präsentieren: neue CDs mit Musik von Instrumenten, die geblasen werden wollen.
Nicht jeder braucht eine Posaune, um seine Botschaft zu verkünden. Eine Klarinette kann auch ganz schön tröten. Und wenn man sein Instrument auch noch mit so einer Finesse beherrscht wie die Klarinettistin Anna Paulová, dann muss nicht einmal die Botschaft froh sein, um seine Adressaten zu erreichen, kann doch der Klang der Klarinette einem sehnsüchtigen Klagen ziemlich nahekommen.
Für ihre Erstlingseinspielung hat sich die junge Musikerin kammermusikalischen Werken angenommen, die besonders sehnsüchtig klingen dürfen. Es sind Kompositionen von zwei tschechischen Komponisten, die im Exil regelrecht heimwehkrank waren. Der ältere der beiden ist Bohuslav Martinů, der ja schon seit 1923 zunächst in Paris, dann in Amerika und schließlich in der Schweiz lebte. Seine Sonate für Klarinette und Klavier entstand in den letzten Lebensjahren und war wie sein gesamtes Spätwerk vom Sehnen nach der verlorenen Heimat geprägt. Den drei klassischen Sätze liegen einfache Motive zugrunde, die ihre Quelle in Volksweisen haben. Im Zusammenspiel mit dem mittlerweile gestandenen Pianisten Ivo Kahánek hört man bei Anna Paulová die Sehnsucht nach Böhmen und Mähren, als wäre es die eigene.
zweite Exilkomponist ist Karel Husa, der ebenfalls zunächst in Paris studierte, um dann, als in seiner Heimat das kommunistische Regime die Macht an sich riss, in die USA übersiedelte. Dort war er bald vierzig Jahre Lehrer an der Musikhochschule von Ithaca. In dieser Zeit komponierte er neben seinen großen Werken vor allem Kammermusik, die seinen Schülern zur Übung und Erbauung diesen sollte. "Beschwörungen an die Slowakei" für Klarinette, Bratsche und Klavier und "Vier böhmische Skizzen" für Klarinette und Klavier hat sich Anna Paulová daraus ausgesucht und ihre gekonnte Einspielung noch ergänzt um ein Präludium, eine Sonate und drei kurze Solostudien von Karel Husa. Wer sich nicht vor neuerer Musik scheut, die trotzdem romantisch klingen darf, liegt mit dieser CD weihnachtlich richtig.
Seit einigen Jahren werden immer häufiger Werke von Karel Husa - immerhin ein Pulitzerpreisträger - wieder entdeckt. Und weil sein Interesse insbesondere den Blasinstrumenten galt, liegt es nahe, dass das Belfiato Quintet, eines der versiertesten Ensembles aus Tschechien, ihnen eine komplette CD widmet.
Drei Stücke für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Waldhorn haben die fünf Musiker ein gespielt, einmal erweitert um Klavier und das andere Mal um ein ganzes Kammerorchester inklusive Xylophon und Harfe. Fünf als Gedichte titulierte Stücke, die Vogelstimmen nachempfunden sind, eine orchestrierte Serenade und die sechs "Erinnerungen" mit Klavierbegleitung, die eher Soundscapes als Musikstücke sind, lassen den Hörer den unbedingten Schaffensdrang von Karel Husa nachempfinden - also sowohl das Schaffen als auch ab und an das Bedrängnis.
Ein neuer Stern am Himmel der Quintette für Blasinstrumente? Diese erste CD des Alinde-Quintetts sollte dieser Vermutung Ausdruck verleihen. Immerhin haben die fünf jungen Musiker im letzten Jahr den internationalen Münchner ARD-Wettbewerb für Nachwuchstalente gewonnen.
Für ihr Repertoire scheinen sie sich aber noch ein wenig auf der Suche zu befinden, denn auf der CD sind sehr unterschiedliche Werke zu finden. So haben sie Dimitri Schostakowitschs legendäres 8. Streichquartett als Blasmusik eingespielt, ohne dass sich ein echter Mehrwert für das ergreifende Meisterwerk durch diese Fassung zu erschließen vermag.
Andererseits haben sie mit "Memory of a friend" des lettischen zeitgenössischen Komponisten Peteris Vasks ein meisterliches Stück für Blasinstrumente ausgewählt. Zudem erfährt mit Jan Novák ein weiterer tschechischer Exilant der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine Hommage, allerdings mit einem Werk, das durch seine jazzige Note die vorherigen geradezu konterkariert. Hohe Kunst der Blasmusik, allerdings doch etwas unsortiert.
Ganz konzentriert hingegen die Auswahl der eingespielten Stücke auf der CD der jungen Flötistin Michaela Koudelková. Ihr Instrument ist die Blockflöte, allerdings nicht von der Sorte, die die Älteren unter uns noch aus dem Schulunterricht kennen, sondern die Barockflöte.
Ihre Sammlung unfaßt Werke der Meister der Zeit, aus der ihre Flöte stammt: Georg Friedrich Händel und Arcangelo Corelli, der deutsche Superstar aus London und bescheidene Musiklehrer aus Italien. Händel war Opernkomponist, doch musste er sich als Operndirektor für die Pausen etwas einfallen lassen. So ließ er eines der beliebtesten Instrumente seiner Zeit während des Bühnenumbaus erklingen. Er schrieb Grundmotive, über die ein versierter Flötist trefflich improvisieren konnte, und schließlich wurden ganze Sonaten daraus, begleitet vom Cembalo oder einer Laute.
Und Corelli, der selbst ein großer Improvisator war, steuert zu dieser CD seine bekanntesten Werke bei. Vor allem ist die Sonate "Follia" zu nennen, deren Titel besagt, was man unterm Tannenbaum beim Auspacken der Geschenke am liebsten in die Weihnachtsstube hinausposaunen möchte: Wahnsinn! (mm)
Alle Angaben zu den vorgestellten CDs:
Husa, Martinů: Musik für Klarinette
Anna Paulová
SU 4327-2
Hörbeispiele unter: https://www.supraphon.com/album/744535-husa-martinu-music-for-clarinet
Karel Husa
Belfiato Quintet und Prague Philharmonia unter Matouš Zukal
SU 4369-2
Hörbeispiele unter: https://www.supraphon.com/album/898324-karel-husa
Inscape: Haas, Shostakovich, Vasks und Novák
Alinde Quintet
SU 4373-2
Hörbeispiele unter: https://www.supraphon.com/album/913318-inscape-haas-shostakovich-vasks-n...
Corelli, Händel: Flötensonaten
Michaela Koudelková
SU 4356-2
Hörbeispiele unter: https://www.supraphon.com/album/872321-corelli-handel-sonatas


























