Eines Tages fassten wir den Beschluss, Prag während unseres Auslandssemesters einmal verlassen zu müssen und in eine ländlichere Gegend zu fahren. Als wir einer Tschechin von dem Vorhaben erzählten, in einen Nationalpark in der Slowakei zu fahren, erwiderte sie erstaunt: „Warum bleibt ihr nicht in der Tschechischen Republik, wenn ihr schon einmal hier seid und lebt?“ Recht hatte sie und wir beschlossen, nach Teplice nad Metují, den „Felsenstädten“ (Adršpašsko-teplické skály) nahe der polnischen Grenze zu fahren. Felsenstädte? Gesagt, getan haben wir uns Samstagmorgen auf die Reise dorthin begeben und ich muss sagen, dass es in jeglicher Hinsicht eine einmalige Erfahrung war.
Auf dem geografischen Gebiet der Republik scheint es nämlich zwei „Tschechien“ zu geben, zwei Gesichter eines Landes: Prag und den Rest des Landes, Stadt und Provinz. Spreche ich von zweierlei „Tschechien“, so denke ich nicht bloß daran, dass sich die Landschaft verändert, wenn man aus Prag heraus fährt, sondern meine unterschiedliche Kulturen, verschiedene Lebensstile und ganz einfach andere Menschen.
Dass Infrastruktur und Lebensstandart in der Hauptstadt nicht beispielhaft für das ganze Land sind, merkt man, wenn man mit dem Zug verreist, schon kurz nach verlassen des großen, modernen Bahnhofgebäudes Prags: Die Bahnhöfe werden immer kleiner, bis sie einer kleinen Holzhütte gleichen, die Züge älter, verrosteter und wackeliger, die Gleisbeschaffenheit schlechter und das Tempo verlangsamt sich, bis man irgendwann im Schritttempo durch die Landschaft ruckelt. Und ja, auch die Landschaft verändert sich: Aus den Prachtstraßen Prags hinaus fährt man zunächst durch mit Plattenbauten besiedelte Vorstädte bis die Gegend schließlich immer ländlicher und grüner wird. In unserem Zieldorf schließlich, mit knapp zweitausend Einwohnern, stehen die Häuser, auf deren Balkonen die Wäsche zum Trocknen hängt, nur noch vereinzelt in der Gegend und Hühner und Katzen bewegen sich frei auf der Straße.
Eine Lock (in Betrieb!) und Häuser in Teplice
Am Zielort empfangen wurden wir nach vier Stunden Reisezeit zunächst von einer Gruppe junger Männer, die um ein Holzgestell standen, an dem ein totes, wohl soeben geschlachtetes Schwein hing. Ein totes Schwein? Die Fotoaufnahmen sind leider ziemlich verwackelt, da man mit einem Besen nach uns warf, als die Stadtmenschen versuchten, dieses urtümliche Spektakel zu fotografieren. Mit Recht vielleicht?
Ein geschlachtetes Schwein
Reiht sich in Prag eine Jugendstilvilla an die nächste, so gibt es in Teplice nad Metuji kaum ein Haus von dem nicht an irgendeiner Stelle der Putz hinunter bröckelt oder das Dach provisorisch geflickt ist (unsere neu renovierte Unterkunft ausgenommen).
Dass der Durchschnittstscheche ärmer ist als ein Bürger Prags, sieht man außerdem nicht nur daran, dass einige Bewohner ihre Kohle noch mit der Hand ins Haus zu schaufeln scheinen. Auch das Preisniveau ist ein anderes: So kostet ein Bier zwischen 15 und 20 Kronen und in manchen Hotels kann man ab 0 Kronen schlafen (??).
Zimmer ab 0 Kronen – hier ist die Welt noch in Ordnung
Das schönste Haus in der Stadt schien ein Altersheim zu sein, die eher triste Fußgängerzone bestehend aus einer Hand voll von Geschäften und ein paar Gaststätten war am Wochenende wie leer gefegt, sodass man sich fragt, wer hier eigentlich lebt, wovon und – wie ist es, hier zu leben? Ob die Bewohner Teplices wohl nach Prag fahren um sich die goldene Hauptstadt anzuschauen, in schicken Häusern zu übernachten und das vielfältige Kulturprogramm zu genießen?
Nun hat Teplice nad Metují im Gegensatz zu vielen anderen tschechischen Dörfern den Vorteil, dass unweit von ihr entfernt eine der schönsten Naturlandschaften Tschechiens (der Welt überhaupt?) liegt: Die Felsenstädte, eine beeindruckende Landschaft mit riesigen Sandsteinformationen, unberührten Wäldern und Flüssen (davon aber ein anderes Mal).
So kommen jedes Jahr zahlreiche Touristen in die Stadt, die Geld ausgeben und garantiert dem ein oder anderen Einwohner den Lebensunterhalt sichern. Dass Touristen samt dem Geld in ihrer Tasche als attraktive Spezies gelten, konnten wir bei dem Besuch eines Restaurants feststellen, als uns die sehr freundliche Kellnerin nach einer wahren Fressorgie einen Werbeordner mit Bildern ihrer Zimmer vorlegte. Vermutlich in der Hoffnung, dass wir, die wir neben ein paar betrunkenen Tschechen, die sich Tschechien sucht den Superstar anschauten, die einzigen Gäste waren, nicht nur den Abend, sondern auch die Nacht bei ihr verbringen.
Ein weiteres Beispiel (zumindest eine Vermutung von mir) für Bemühungen, nach außen hin ein gutes Bild abzugeben und Touristen anzuziehen, ist das Hotel, was ihr auf dem Foto unten seht. Ist die Fassade wohl frisch renoviert und erstrahlt in einem freundlichen Grün, so scheint das Haus bei genauerer Betrachtung der Seitenwände auseinander zu fallen.
Die Fußgängerzone und ein Hotel
Kommt man nach zwei Monaten Aufenthalt im lebhaften, modernen und weltoffenen Prag an einen Ort wie Teplice nad Metují, hat man das Gefühl, die Hauptstadt nicht nur räumlich verlassen zu haben, sondern auch in der Zeit ein paar Jahre zurück gereist zu sein. Es wird klar, dass sich noch nicht überall im Land Ost- und West in dem Maße getroffen und verschmolzen haben, wie das in Prag der Fall ist, dass nicht mehr das ist, was man sich unter Osteuropa vorstellt.
Es war ein wunderschönes Wochenende, eine sehr interessante Erfahrung und ein Stück Kennen lernen der wirklichen Tschechischen Republik.
Ich kann wirklich jedem empfehlen, Prag einmal zu verlassen und eine Reise wie diese anzutreten, zumal die Zugfahrt hin- und zurück ca. 300 Kronen und auch die wirklich schöne Unterkunft nur 315 Kronen pro Nacht gekostet hat.