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Rubrik: Kultur | 20.01.2017
Vortrag im Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren
Themen: Theresienstadt, Terezín, Holocaust, Holocaust-Gedenken

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| | Reise | 17.3.2008

Das "Ghetto Theresienstadt"

In der Gedenkstätte Terezín

Samstagmorgen haben wir uns auf den Weg nach Theresienstadt (Terezín) gemacht, von dem mit Sicherheit jeder schon einmal etwas gehört hat und doch die Wenigsten wissen, was dort wirklich passiert ist. Ich muss sagen, dass es in meiner bisherigen Pragzeit wohl das Interessanteste und auch Bewegendste war, was wir gesehen haben…

Die Festung Theresienstadt wurde in den Jahren 1780 bis 1790 unter der Herrschaft Kaiser Josefs II. erbaut, um die Zugangswege in das Innere Böhmens vor feindlichen Truppen zu schützen. Die Tatsache, dass die Festungsanlagen schon so alt sind und ursprünglich einem ganz anderen Zwecke dienten, ist wohl der Grund dafür, dass Theresienstadt äußerlich überhaupt nicht dem entspricht, was man sich unter einem Konzentrationslager vorstellt. Die Gemäuer gleichen eher denen einer Burg. Ein Konzentrationslager im eigentlichen Sinne ist Theresienstadt auch nie gewesen. Im Rahmen der „Endlösung der Judenfrage“, dem verbrecherischen Plan der Nazis zur Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Ermordung möglichst aller Juden im Machtbereich des Deutschen Reiches, entstand in den ehemaligen Festungsanlagen 1941 ein Ghetto für Juden.

Galt Theresienstadt ursprünglich als Durchgangslager, in dem die jüdische Bevölkerung gesammelt und schließlich von dort aus in Konzentrationslager deportiert wurde, so erfüllte es gleichzeitig zwei weitere Aufgaben. So diente es außerdem der Dezimierung der Häftlinge, die unter den grausamen Lebensbedingungen und Qualen starben und – was für mich persönlich ganz neu und besonders interessant war - der Propaganda. Mit Hilfe verschiedener „Verschönerungsaktionen“, indem man den Besuch ausländischer Vertreter genau vorbereitete und jüdische Künstler Zwang, in Kunstwerken eine friedliche, jüdische Siedlung darzustellen, wurde das Ausland in die Irre geführt. So wurde unter der Regie von Kurt Gerron zum Beispiel der Film „Theresienstadt – Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ gedreht und im Ausland verbreitet, der das Leben im Ghetto verherrlicht. Es sollte der Eindruck entstehen, dass man den Juden in Theresienstadt ein autonomes Siedlungsgebiet eingerichtet hatte, in dem sie sich frei entfalten und friedlich leben konnten.

Von der Entstehung des Ghettos bis zum 20. April 1945 wurden etwa 140.000 Männer, Frauen und Kinder nach Theresienstadt deportiert, wovon etwa 88.200 in Konzentrationslager deportiert wurden und 33.500 im Ghetto starben.

Besichtigen kann man in der Gedenkstätte Theresienstadt das Ghetto-Museum, die ehemalige Magdeburger Kaserne, den jüdischen Friedhof und natürlich die Stadt selbst in der Großen Festung. Es gibt außerdem noch eine Kleine Festung. Eine Kombikarte, mit der man Zugang zu allen Stätten hat, kostet für Studenten 150 Kronen.

Zuerst sind wir in die Große Festung gefahren und haben uns das Ghetto-Museum angeschaut, in dem man sehr kompakt und mit vielen Dokumenten, Bildern und Ausstellungstücken den Verlauf des Holocaust und die Geschichte Theresienstadts im Besonderen noch einmal nachvollziehen kann. Man sollte für das Museum viel Zeit einplanen, da es sehr viel zu lesen gibt.

Anschließend sind wir durch die „Stadt“ selbst gelaufen. Erstmal fragt man sich, wer heute noch freiwillig dort wohnt, aus welchem Grund und wie man sich als Bürger Terezíns wohl fühlen mag. Laut Wikipedia lebten 2004 noch 2993 Menschen dort. Die Atmosphäre, die in dieser Stadt herrscht, ist sehr schwer zu beschreiben: Auf der einen Seite sehen die Häuser alt und schön aus, es gibt eine Kirche, zahlreiche grüne Parks, ein paar Geschäfte und es wohnen eindeutig Menschen dort. Auf der anderen Seite wirkt die Stadt leer, unbewohnt, leblos und hat eben den Charakter eines Museums. Die meiste Zeit waren wir allein auf den Straßen und man hatte das Gefühl, dass die Leute, die man traf, auch nur Besucher seien.

Die Straßen in Theresienstadt

 

Im Anschluss an das Ghetto-Museum haben wir eine jüdische Betstube und die ehemalige Magdeburger Kaserne besichtigt. In der Kaserne waren all die Kunstwerke ausgestellt, die im Ghetto produziert wurden und auf die ich in einem anderen Eintrag eingehen möchte. Da jüdischer Friedhof und Krematorium samstags leider geschlossen waren, sind wir an den Festungsmauern entlang zur Kleinen Festung gelaufen. Vor der Kleinen Festung liegt erstmal der Nationalfriedhof, auf dem die sterblichen Überreste von ungefähr 10 000 Opfern beigesetzt sind.

Der Nationalfriedhof

 

Am Eingang bekommt man einen Plan mit eingezeichnetem Rundgang, weshalb man die Kleine Festung sehr gut auf eigene Faust besichtigen kann.

Der Eingang der Kleinen Festung und die Wallanlagen

 

In der Kleinen Festung wurde 1940 ein Gefängnis der Prager Gestapo eingerichtet. Bis Kriegsende durchliefen etwa 32 000 Häftlinge das Gefängnis. Auch die Kleine Festung war eher ein Durchgangslager, von dem aus die Gefangenen vor Nazigerichte oder in Konzentrationslager weiter transportiert wurden. Etwa 2600 Häftlinge starben jedoch vor Ort an den Folgen von Krankheit, Folter und miserablen Lebensbedingungen. So gab es Sammelzellen, in denen auf winzigem Raum bis zu 600 Häftlinge leben mussten.

Das Innere der Festung und die Verwaltung

 

Das Innere einer Zelle

 

Der Rundgang durch die Kleine Festung war für mich persönlich das Seltsamste am Tage. Man weiß zwar, welch grausame Taten in den 1940er Jahren dort passiert sind, man sieht die kleinen, spärlich eingerichteten Gefängniszellen, in denen die Häftlinge auf Holzbrettern schlafen mussten, sieht Bilder abgemagerter Häftlinge und liest grauenerregende Listen in denen das schreckliche Schicksal der Gefangenen ganz sachlich Festgelegt wird. Doch kann man bei Weitem nicht fühlen, was damals passiert sein muss, oder sich in das Geschehen hinein versetzten. Nun haben wir Theresienstadt bei strahlendem Sonnenschein besichtigt, in dem die Obstwiesen und Festungsanlagen etwas Ruhiges, nahezu Idyllisches und Schönes ausstrahlen. So war ich ständig hin- und her gerissen zwischen dem, was man heute sieht und fühlt, wenn man durch die Festungsanlagen läuft und dem, was man eigentlich fühlen sollte und damals sehen konnte.

Ein Besuch von Theresienstadt ist auf jeden Fall sehr lohnenswert! Wir sind fünfeinhalb Stunden dort geblieben bis alle Stätten geschlossen haben und hätten ohne weiteres zwei weitere Stunden dort verbringen können, um zu erfahren, was in Theresienstadt zwischen 1940 und 1945 geschehen ist…

Externer Link: www.pamatnik-terezin.czwww.pamatnik-terezin.cz
Bildnachweis:
Charlotte Palm (im Text eingebettete Fotos)
Památník Terezín
Principova alej 304
411 55
Terezín
Region Ústí nad Labem (Ústecký kraj)
Tschechische Republik
pamatnik@pamatnik-terezin.cz
+420 416 782 225, 416 782 442

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