Circa 200 Menschen demonstrierten am vergangenen Sonntag in Prag gegen die geplante EU-Novelle. Der Protest war Teil eines europaweiten Aktionstages gegen Zensur im Internet
Während Dánská dívka (engl. Orig. „The Danish Girl“) noch in den Prager Kinos läuft, wird im deutschen Buchhandel schon die DVD-Version beworben. Insofern kann diese Filmkritik noch für den Kinogang oder schon für das Puschenkino im heimischen Wohnzimmer gelesen werden. Gestern konnte ich mir nach langer Zeit die englische Originalfassung im Kinosaal bei Anděl (Prag-Smichov) ansehen. Vorausgegangen ist der Filmrezeption eine dreimonatige Recherche (teils online, teils vor Ort oder durch Interviews) in Deutschland, der Türkei, Griechenland, Tschechien sowie der Slowakei.
Der ZEIT-Journalist Caspar Shaller mag zwar in manchen Punkten den Nagel auf den Kopf getroffen haben, wenn er seine Kritik an dem Film mit den Worten titelt: „Mattes Heulen, großes Zittern“ und den Film als „überzuckert und blutleer“ bezeichnet, doch bleibt IMHO die durchaus berechtigte Frage, was er denn von einem 119 minütigen Film, der zudem auch noch in den Kinos gespielt wird, die sich den Mainstream-Filmen verschrieben haben, erwartet?
Komplexe realhistorische Kost leicht zubereitet Die Geschichte ist in der Tat schnell erzählt. Das junge Maler-Ehepaar Gerd und Einar Wegener lebt im Kopenhagen des „Art déco“. Als für Gerdas Arbeiten ein Mannequin ausfällt, bittet sie ihren Mann Einar ihr in Frauenkleidung Modell zu stehen. Es bleibt nicht bei dieser einmaligen Verwandlung von Einar zu Lili. Einar findet Gefallen an den feinen Stoffen und setzt die Verwandlung von Einar zu Lili, bestärkt und unterstützt durch seine Frau Gerda, mit Schminke und Perücke fort, so dass sie eines Abends als zwei „Cousinen“ (in der englischsprachigen Fassung „cousins“) auf einer abendlichen Festlichkeit auftauchen. Fortan gibt sich Einar dem Zwang hin, Frauenkleider zu tragen, was ihn anfangs in sexuelle Erregung versetzt. Es folgen zahlreiche „Therapieversuche“, die – dem medizinischen Stand der Zeit entsprechend – recht archaisch daherkommen. Neben Bestrahlung der Genitalien und der versuchten Zwangseinweisung in eine Psychiatrie ist offensichtlich auch der deutsche Arzt Dr. Kurt Warnekros experimentierfreudig und führt zwei Operationen, die im Film nicht im Detail erörtert werden, an die mittlerweile in Lili Elbe umbenannte Patientin, durch. Nach der zweiten OP stirbt Lili Elbe an der Seite ihrer Frau Gerda in einem melodramatischen Schlussakt.
Soweit die Handlung des Films, die in er Tat hätte tiefgründiger sein können, denn Lili Elbe und auch Gerda Wegener gab es wirklich. Doch der Film hält sich nicht an die realhistorischen Figuren, sondern an eine literarische Vorlage. Es handelt sich um das 2000 erschienene Debüt „The Danish Girl“ des US-amerikanischen Schriftstellers David Ebershoff, der prompt zu einem, in mehrere Sprachen übersetzten, Bestseller wurde und 2002 auf Deutsch erschien.
Buchtipp zum Thema: Lehnert, Gertrud: Wenn Frauen Männerkleider tragen - Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte, 1987 Ebershoff, David: Das dänische Mädchen, 2000
„Ach, was sind wir doch wie aufgeklärt“ Was macht den Film nun also nach Shallers Ansicht so fad? Es gibt in der Tat kaum einen sozialgeschichtlichen Kontext, in dem die Handlung eingebettet ist. Der Zuschauer erfährt nichts von den Problemen eines Transsexuellen (bzw. in diesem Fall Intersexuellen) in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Es gibt keine bzw. nur dürftige Darstellungen, wie Verwandte, Freunde und das alltägliche Umfeld auf die „Verwandlung“ von Einar zu Lili reagieren. Der Zuschauer wird förmlich in die Handlung hineingeworfen: Ein Atelier, eine Leinwand, eine Staffelei und ein fehlendes Modell für das Einar einspringt und fortan nimmt das Schicksal unausweichlich seinen Lauf... Durch diese Szene könnte beim Publikum der Eindruck entstehen, dass jeder Mann durch die Berührung eines „weiblichen Kleidungstückes“ transsexuell wird. - Genauso, wie weltweit noch immer die Vorstellung in den meisten Köpfen herumgeistert, dass Männer, die sich in der Küche betätigen und um die Kindererziehung kümmern, „irgendwie“ abnormal sind. - Der Film räumt also nicht radikal mit Klischees und Vorurteilen auf. Doch wie soll das in einem Mainstream orientierten Kinofilm überhaupt gehen? Meiner Ansicht nach gar nicht. Im Gegensatz zu Shaller lege ich die Messlatte in diesem Punkt wesentlich niedriger an, während die schauspielerischen Leistungen des Briten Eddie Redmayne in der Rolle von Lili Elbe hervorzuheben sind. Man kann schwerlich von einem Publikum erwarten, das sich einen Film ansieht, welcher im sog. Mainstream orientierten Abendprogramm läuft, tiefschürfend mit den Begriffen der unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und mit den Begriffen Transsexualität, Intersexualität, Transgender und LGBT auseinandergesetzt hat. Der Film kann allenfalls als ein Angebot an die breite Kinomasse verstanden werden, als Anreiz über das Thema zu diskutieren, privat und auch öffentlich im gesellschaftlichen Diskurs. Wie verhält es sich eigentlich mit Klischees und Vorurteilen in der tschechischen, deutschen, türkischen und griechischen Bevölkerung? Schließlich werden Produktionen dieser Art weltweit vertrieben. Es ergibt sich daher von selbst die Frage, wie unterschiedlich ein solcher Film im Zeitalter der Globalisierung rezipiert wird und vor welchem gesellschaftspolitischen Hintergrund dieser Film in die Kinos kommt.
Griechenland – Billiger Voyeurismus auf allen Kanälen In Griechenland taucht das Thema Transsexualität seit geraumer Zeit immer häufiger in den TV-Medien auf. „Betroffene“ berichten unter Tränen wie sie von ihrer Familie ausgestoßen wurden und nun ums Überlegen kämpfen. Dabei handelt es in den griechischen Medien keinesfalls um Aufklärung, sondern lediglich um eine billige Art des Voyeurismus, bei dem das griechische Fernsehpublikum fragwürdige „Attraktionen“ ins Haus geliefert bekommt. Interessant ist auch in diesem Zusammenhang – ohne die Begriffe vermischen zu wollen – dass die vom britischen Sänger George Michael (Georgios Kyriakos Panagiotou) mittlerweile offen gelebte Homosexualität in Griechenland auch 2016 noch immer weitgehend unbekannt ist. Offenbar passt die Vorstellung nicht in das gängige Klischee vom gutaussehenden Frauenschwarm.
Türkei – Zwischen Ausgrenzung und straffreier Tötung Um das Jahr 2007/2008 herum hat der deutsch-französische Sender ARTE eine Reportage über Transsexuelle in der Türkei ausgestrahlt. Danach werden Transfrauen (Mann zu Frau) einerseits von der Gesellschaft in die Prostitution als sog. Ladyboys abgedrängt, während sie andererseits von denselben Freiern, die sie noch einen Tag zuvor im europäischen Teil Istanbuls zwecks ihrer „Dienstleistungen“ aufgesucht haben, am nächsten Tag auf offener Straße ermordet werden. Nach neueren Berichten hat sich an dieser Sitation nichts geändert. Transfrauen werden von Biofrauen (also als biologisch geborene Frauen / Cisgender) zusammengeschlagen. Das Töten von Transsexuellen gehört zum Alltag in der Türkei. Transsexuelle werden nicht einmal auf den öffentlichen Friedhöfen beigesetzt.
Deutschland – Zwischen Hilfsangeboten und Übergriffen In Deutschland gibt es in den Großstädten eine recht offen gelebte Transgender-Szene. Doch der CSD in Köln darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in Deutschland Übergriffe auf Transsexuelle gibt. Die Urheber dieser Übergriffe reichen vom rechts-/deutschnationalen, über das bürgerliche Spektrum sowie Migranten aus Russland, Kasachstan der Ukraine bis hin zu türkischen und arabischen Minderheiten. Wobei nächtliche Übergriffe dieser Art nicht erst seit Silvester 2015/16 bekannt sind. Nichtsdestotrotz gibt es in Deutschland aber ein breites Spektrum an Hilfsangeboten und Selbsthilfegruppen für Transsexuelle.
Tschechien / Slowakei – Zwischen Prag-Pride und Provinz Prag ist eine europäische Großstadt, die wie alle Großstädte auch ihre Queer-Bewegungen hat. Einmal im Jahr findet das Kölner Pedant „Prag-Pride“ statt. Transsexuelle, Transgender und Homosexuelle können in der Öffentlichkeit sogar teilweise freier als in Deutschland leben. Tschechen ignorieren gerne auch das Gesehene. Insgesamt aber führen Transsexuelle, verglichen mit Deutschland, ein recht zurückgezogenes Leben in Tschechien. Öffentliche Hilfsangebote sind schwer zu finden. Tschechische Transsexuelle üben oft schlecht bezahlte Tätigkeiten aus, was aber auch oft an der beruflichen Branche liegt (IT bzw. Verkaufsaushilfe). Verlässt man Prag, wird es allerdings auch schon problematischer. Slowakische Transsexuelle „fliehen“ vor einem Stammtischprovinzialismus nach Prag, genauso wie slowakische Homosexuelle.
Die Liste ließe sich nun beliebig noch auf Frankreich, Polen oder Ungarn ausdehnen, soll aber nur kurz umreißen, vor welchem Hintergrund der Film eigentlich in den europäischen Kinos im 21. Jahrhundert (!) läuft. Shallers Kritik ist also nicht nur oberflächlich, sondern verkennt auch die Lebenswirklichkeit von sexuellen Minderheiten in Deutschland sowie anderen europäischen Staaten, so dass man zu der Annahme geneigt ist, der ZEIT-Journalist habe seine Kritik 20 Minuten vor Redaktionsschluss geschrieben und das natürlich ohne sich eingehend über die spezielle Problematik zu informieren, die dem Thema inne liegt.
Eddie Redmayne hat es geschafft in seiner Rolle als Lili Elbe resp. Einar eine Persönlichkeit darzustellen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Ausweg aus dem von der Gesellschaft zugewiesenen Geschlecht und der selbst gefühlten Identität gesucht hat. In seiner überzeugenden Filmrolle als Lili Elbe war Eddie Redmayne von den anderen Verkäuferinnen der Parfümerie im weiblichen Aussehen, Habitus, Gang, Auftreten, Augenaufschlag und grazile Bewegungen nicht mehr zu unterscheiden. In seiner männlichen Rolle als Einar gelang es Eddie Redmayne problemlos, sich in die Rolle eines Menschen hineinzuversetzen, in dessen Brust zwei Seelen miteinander kämpfen. Welch´ anderer Schauspieler hätte das so überzeugend vollbringen können, außer dem, der auch Steven Hawking überzeugend dargestellt hat - eine Rolle, die ebenfalls schwierig zu spielen war.
Die Liebe zweier Menschen, ist die Liebe zweier Seelen Wichtig ist wohl doch aber am Ende die Gesamtaussage des Films. Denn im Gegensatz zur realhistorischen Figur bleibt Gerda bis zum Schluss an der Seite Lilis und begleitet sie bis zum Tod. Gerda und Lili bzw. Einar lieben sich. Es ist eine wahre, aufrichtige Liebe, die über Geschlechtergrenzen hinweggeht und die Liebe zweier Seelen repräsentiert, bei der weder das Aussehen noch das Geschlecht eine Rolle spielen. Welches heterosexuelle Paar auf der Welt kann behaupten, sich so innig zu lieben - das heißt wirklich den Geist und nicht (nur) den Körper? Wenn also dem Regisseur Tom Hooper eines gelungen ist, denn doch genau diese Art der Liebe auf einer sublimierten Ebene darzustellen. So ist Lilis Schal, den der Wind in der Schlussszene von Gerdas Schultern in die Lüfte ver(-)weht als letzter Gruß einer Seelen-Liebe zu verstehen....
Fazit: Themen Seelenliebe/Verbundenheit gut verarbeitet. Thema allerdings zu hektisch erzählt. Bewertung: Anspruchsvollerer Film Eintritt: 179 Kronen Prag Sprache: Englisch mit tschechischem Untertitel Getestetes Kino: Cinema City Prag-Smichov (Anděl)
Update 28.03.2016, 20:25 Uhr: Links hinzugefügt, Details überarbeitet. (In einer früheren Version wurde die allgemein bekannte Information übernommen, dass Lili Elbe an den Folgen einer Uterustransplantation aufgrund von Abstoßungsreaktionen verstorben sei. Nach neuestem Kenntnisstand ist die Todesursache nicht zweifelsfrei geklärt. Siehe: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld)