Halbfinale und ich schaue mit sehr speziellen Freunden. Ein Journalist, ein Aktivist und ein Theatermacher. Alle Tschechen, alle Fußballkenner. Alle gegen Cristiano Ronaldo. Das ist ein echtes Phänomen in diesen Turniertagen. Gegen die portugiesische Mannschaft hat niemand etwas einzuwenden. Vielleicht könnten sie auch mal ein Spiel gewinnen, denkt sich jeder, nicht nur durch Unentschieden, Verlängerungen und Elfmeterschießen weiterkommen. Aber alle scheinen sich einig zu sein: Cristiano Ronaldo, nein danke.
Anti-Ronaldismus
Warum eigentlich? Der Mann ist der vielleicht kompletteste Fußballer derzeit. Athletisch, schuss- und sprung-, damit auch kopfballstark, dynamisch, trickreich, torgefährlich und eigentlich nicht zu stoppen. Er schießt Tore über Tore, trifft im Verein nach Belieben. Aber seine Gesten und seine Mimik auf dem Platz stempeln ihn als arrogant. Ist er das wirklich? Natürlich verdient er zig Millionen im Jahr, jedes Top-Model ist froh, mit ihm gesehen und abgelichtet zu werden. Cristiano Ronaldo macht publicity, das gehört zum Job. Aber woher stammen eigentlich die Beweise, dass er arrogant ist?
Nun, wir lösen zunächst unser erstes Problem. Gefordert ist ein Ort, möglichst rauchfrei, wo Fußball geschaut wird, dazu noch in unserer Nachbarschaft. Der Journalist, gerade zurück von einer Hilfsorganisations-gespendeten Tour in ein mauretanisches Flüchtlingslager, kommentiert es so: Wir brauchen eine Hipster-Kneipe, die Fußball zeigt. Wir schütteln den Kopf, gibt es nicht.
Das Hinterzimmer in Fred's Bar ist dummerweise besetzt, wie wir erfahren, dort hockt eine politische Splitterpartei, die sich die Freiheitlichen nennt, und konspiriert. Der Journalist ist entsetzt. In seiner Lieblingskneipe dieser böhmische Haufen nach Vorbild der österreichischen Wahlverdreher FPÖ?
Stereo-Schauen
Mir fällt eine akzeptable Alternative ein, das Restaurant Stereo, eine Straßenecke weiter. Geraucht werden darf dort, aber es wird höchst zurückhaltend geraucht und die hohen Wände sowie die Lüftung sorgen für die Illusion frischer Luft. Jetzt dirigiert der Aktivist den Theatermann an den Ort des Geschehens und der Schiedsrichter darf das Spiel anpfeifen.
Ich erfahre unglaubliche Dinge, die mir im Strudel der Eh Emm glatt entgangen sind. Tschechiens Trainer Pavel Vrba, in dem viele den Retter vor dem unweigerlichen Verfall des böhmisch-mährischen Fußballs in die Bedeutungslosigkeit erblickt haben, hat das sinkende Schiff verlassen und ist dem Lockruf des großen Geldes in die russische Liga gefolgt. Matschkala wird er trainieren, wo sie Samuel Eto'o einst die Zehennägel vergoldet haben. Das ruft große Enttäuschung und etwas Entrüstung hervor. Was soll das, war Pavel Vrba nicht das Versprechen auf bessere Zeiten, den Neuaufbau einer Mannschaft ganz nach dessen Vorstellungen? Ist er in den Interviews nicht immer sehr bescheiden und voller Fußballsachverstand aufgetreten? Hat aus Pilsen eine wirkliche Viktoria gemacht und die Nationalelf nach Frankreich geführt? Und jetzt legt er seine ganze Arroganz an den Tag. Der Theatermann, der Journalist und der Aktivist sind sich darin einig, in dieser Arroganz etwas typisch Tschechische bei Emporkömmlingen zu sehen.
Pavel Vrbas Fehler
Bei der Eh Emm ist ihm, zugegebenermaßen, nicht mehr viel gelungen. Der praktizierende Fußballkenner Marek hat nach dem Ausscheiden Vrbas Fehler knallhart beim Namen genannt. Bei der Eh Emm ließ er Erlöserfußball spielen. Statt einem der Sparta-Recken wie Dočkal, die immerhin das Europa-League Viertelfinale erreicht haben, das zentrale Mittelfeld anzuvertrauen, brachte er Rosický, der die gesamte Saison verletzt ausgesetzt und mit Arsenals Jugendmannschaft zwei, drei Vorbereitungsspiele bestritten hat. Klar, dass für Rosický nach zwei Spielen Schluss war, der Belastung war sein Körper nicht gewachsen. Rosický hätte der Joker sein können, aber nicht das Zugpferd.
Matschkala also, Dagestan, so ein Mafia-Verein. Der Theatermann erzählt ein paar Eindrücke aus China und diesen wahnsinnigen Betonwüsten. Der Journalist einige Eindrücke aus Mauretanien und ich schaue des Fußballs fade Kost in Hälfte eins. Wir sprechen auch über die Aussichten des deutschen Teams und die nicht zu unterschätzende Anzahl von Ausfällen vor dem Halbfinale gegen Frankreich. Wenn Deutschland das kompensieren kann, so ist meine unerschütterliche Meinung, dann ist Löw ein großer Trainer. Ist er ja jetzt schon, als Cheftrainer hat er sein Team bei jedem Turnier ins Halbfinale geführt und den überfälligen Titel vor zwei Jahren auch geholt. Wenn er jetzt aber auch die Eh Emm holt, dann ist er ein ganz großer Trainer, so wie Helmut Schön. Dann liegt nur die Herausforderung vor ihm, Spanien einzuholen, das drei Turniere hintereinander gewonnen hat. Und dann, ja dann. Also, es kommt alles auf das eine Spiel an.
Ronaldo trifft, Bale nicht
In Hälfte zwei springt Cristiano Ronaldo einen halben Meter höher als sein Gegenspieler und köpft eine Flanke nach einer kurz ausgeführten Ecke ins Tor. Drei Minuten später hält Nani den Fuß in einen Pass in den Strafraum und das Spiel ist durch. Bale rackert und schießt, doch ihm fehlt an diesem Tag das, was sein Vereinskollege CR7 diesmal hatte. Das Tor. Portugal steht im Finale und niemand weiß so recht, wie deren Leistungsstärke einzuschätzen ist. Man sollte meinen, dass der Sieger des zweiten Halbfinales besser sein sollte. Abwarten. Vielleicht wird es ja das Turnier von Cristiano Ronaldo. Ein Tor im Finale und er hat Michel Platini als besten Eh Emm Torschützen überholt. Dann müssen wir aber wirklich ganz genau hinschaue, was er dann macht. Ob das arrogant sein wird oder einfach im Rahmen von Ronaldos Verhaltenskodexes normal.