Prag - Tag 19: Nach den Gurken-Achtelfinalspielen von gestern stehen heute endlich wieder Kracher auf dem Programm. Begebe mich also schon frühzeitig in den Biergarten, fürchte, dass es eng werden könnte.
Das ist aber übertrieben, das bereits hinlänglich bekannte Nachmittagspublikum hat bereits Stellung bezogen, darunter auch einige Freunde des runden Leders, aber keine wirklichen Fans. Außer uns natürlich, wir sitzen in der ersten Reihe und schauen ja generell jedes Spiel.
Brasilien beginnt mit einem frühen Tor, ein Pass in die Tiefe auf Ronaldo, der steht nicht im Abseits, umkurvt geschickt den Torwart und schiebt ein. Nebenan jubeln einige Machos. Das ist ein Schock für Ghana. Wenige Minuten darauf eine Kopie dieser Szene, diesmal versucht Adriano, den Torwart zu umkurven und lässt sich fallen. Der Schiedsrichter pfeift - was wird er wohl machen? - nestelt bereits an seiner Brusttasche - es wird also eine Verwarnung geben - und entscheidet auf Schwalbe, gelbe Karte für Adriano! Richtig! Die Machos nebenan jubeln wieder. Einer von ihnen liegt mit dem Kopf im Schoße einer blonden Engländerin und lässt sich den Bart (den er natürlich nicht hat) kraulen.
Ghana spielt Brasilien schwindelig
Anschließend sehen wir Einbahnstraßenfußball. Ghana spielt Brasilien an die Wand, vergisst aber, dass es beim Fußball ja um Tore geht. Die Machos nebenan reden in mehreren Sprachen, ich meine manchmal Wörter wie „Fallobst“ herauszuhören. Endlich erklärt sich einer von ihnen auf englisch. Er sei ein schlechter Fan, ihm sei egal, wer gewinne, Hauptsache es gebe Tore zu sehen. Hugh, ich habe gesprochen!
Nun, ein Einheimischer hat tatsächlich eine ghanaische Fahne mitgebracht und schwenkt diese unverdrossen. Auch als das Zweinull fällt. Dieses Tor dürfte dem Schiedsrichtergespann um den Slowaken Luboš Michel das Finale kosten.
Vierzig Meter Abseits übersehen
Wieder so ein Pass in die Tiefe, Adriano steht halblinks klar im Abseits. Das ist in diesem Fall jedoch passiv, da der Ball nach rechts hinaus geht. Dort spielen sich zwei Brasilianer durch und passen den Ball quer auf den mitgelaufenen Adriano. Der staubt ab - sehr aktiv am Geschehen beteiligt - und steht überdies immer noch im Abseits. Den ganzen Weg von der Mittellinie bis in den Strafraum läuft der bullige Angreifer im Abseits und darf doch vollstrecken - ein Skandal!
Nun, ein frühes und ein spätes Tor, die Partie ist noch vor der Pause eigentlich gelaufen. Ghana bemüht sich in der zweiten Hälfte wie in der ersten, sehr brasilianisch, wie Brasilien selbst eigentlich gar nicht mehr spielt. Es ist also das wahre Brasilien, das gegen das europäisierte Brasilien am Ende viel zu hoch mit Dreinull verliert. Wir verabschieden Ghana mit stehenden Ovationen - aber eigentlich sind wir nur deshalb aufgestanden, weil sich das sich seit Tagen ankündigende Gewitter endlich entlädt und wir uns unter Sonnenschirme und Zeltplanen flüchten.
Abendspiel wegen Gewitter verlegt
Damit fällt das Abendspiel ins Wasser - zumindest was der Biergarten betrifft. Wir verteilen uns in unterschiedliche Bars. Lande mit Nick in einem Schlauch, der mich an eine Kegelbahn erinnert. Dort sind nur einheimische Jugendliche, die wahrscheinlich eher wenig an Fußball interessiert sind. Überrede Nick, in die Kellerbar zu fahren. Dort ist das Hinterzimmer zwar bereits überfüllt, wir bekommen aber immerhin einen Platz an der Theke mit Fernseher. Und einen intimen Kreis von Fußballkennern, die ein Team unterstützen. Leider aber nicht den Originalton.
Wettleidenschaft
Um Nick über die schlechten Bedingungen hinwegzutrösten, beginne ich, ihm blöde Wetten anzubieten. Ich wette also zehn Kronen auf ein Tor von Zidane. Zidane? Ich sehe, Nick würde die Wette am liebsten auf Tausend Kronen erhöhen, doch es geht dabei ja nicht so sehr ums Geld. Dann wette ich auf einen Elfmeter für Spanien. Nick hält dagegen und bietet seinerseits ein Tor von Raul. Ich nicke.
Als dann Spanien seinen Elfmeter bekommt, habe ich die erste Wette gewonnen. Dafür muss ich aber eine Kröte schlucken, Nick wettet auf ein Tor von Henry. Frankreich gleicht kurz vor der Pause aus, drei Wetten sind noch offen.
Zweite Halbzeit, Frankreich wird besser und trifft - aber weder Henry noch Zidane - sondern ein Abwehrspieler per Kopf (war es Vieira?). Dann nimmt der spanische Trainer Raul vom Feld und bringt frische Kräfte. Zweite Wette gewonnen. Hoffe bei jedem Eckball darauf, dass Zidane nochmals einen reinköpft wie damals im Endspiel gegen Brasilien. Leider schießt er jede Ecke selbst. Und versucht es tatsächlich ein Mal direkt. Das war knapp!
Zidane trifft!
Die Zeit neigt sich allmählich dem Ende zu und auch der französische Trainer hat ein Einsehen und nimmt Henry vom Feld. Dritte Wette gewonnen. Spanien drückt auf den Ausgleich. Drei Minuten Nachspielzeit. Es ist auf dem kleinen Bildschirm nicht genau zu erkennen, wer den Ball auf dem linken Flügel bekommt, nach innen kurvt und flach ins kurze Ecke versenkt. Allerdings kommt mir der Bewegungsablauf eigentümlich vertraut vor. Wiederholung, Nahaufnahme: Tor Zidane! Gewinne also auch die vierte Wette und Nick zahlt mir anstandslos die vierzig Kronen. Ich wiederum seine drei Bier, so sind wir mehr als quitt.
Frankreich weiter, ha! Ich wusste das und habe bereits vor Tagen eine Wette über fünfzig Kronen angeboten. Ich verrate nur so viel, es hat was mit Frankreich gegen Brasilien im Viertelfinale zu tun.
Ihr deutscher WM-Beobachter in Prag
Heute mal wieder eine Frage: Welche Länder haben bereits zwei Mal eine Fußball-Weltmeisterschaft ausgerichtet? Deutschland, ja, das wissen wir alle, aber wer noch?