Alle europäischen Mannschaften raus, lautet die ernüchternde Bilanz des ersten Entscheidungstages, gleiches gilt für die Afrikaner, konstatiert Gerd Lemke.
Auf dem náměstí Hyundai Fun Park versammelt sich der Mob aus den Banlieus. Zu erkennen ist er an primitiven Tätowierungen und unvollständigem Gebiss. Er praktiziert einen Sitzstreik in den ersten Reihen. Folgerichtig lässt sich sonst kaum ein französischer Fan sehen. Domenech hat in seinem letzten Spiel vor dem Tribunal die Mannschaft ein wenig umgekrempelt und die Taktik offensiver ausgerichtet. Doch aus dieser équipe ist einfach nichts herauszuholen. Gourcoff verliert die Lust, vor dem sitzstreikenden Mob aufzuspielen, und springt mit einem exakt gezielten Ellbogen in einen Kopfball und des Gegners Kinn. Der Schiedsrichter sieht darin Absicht und der Musterschüler mit den wohlerzogenen Manieren der Mittelschicht rot. Das ist nun das Zeichen für die Abwehrspieler, den letzten Widerstand aufzugeben und die Südafrikaner zum Toreschießen einzuladen. Zwei Mal gelingt ihnen das, weitere Treffer verhindert der Linienrichter oder eigenes Unvermögen. In der zweiten Hälfte blitzt das Können von Ribéry kurz auf und er bereitet den Anschlusstreffer vor. Vielleicht hätte er besser seinen Vertrag in der Landeshauptstadt des deutschen Bundeslandes Bayern nicht vor der WM verlängert, so fehlt ihm die rechte Motivation zu mehr. Dann ist es vorbei und die Zuschauer von dieser équipe erlöst. Nicht einmal beim Mob aus der Banlieu löst das besondere Aggressionen aus, in Ermangelung irgendwelcher Hassobjekte bleibt es friedlich auf dem náměstí Hyundai Fun Park.
Im anderen Spiel, das durch dieses Ergebnis bedeutungslos geworden ist, schlagen starke Uruguayer gar nicht mal schlechte Mexikaner, beide ziehen vereint ins Achtelfinale, wo sie dann auf Südkorea bzw. Argentinien treffen, wie sich am Abend herausstellt.
Otto Rehakles Griechen geben alles gegen Maradonas Zaubertruppe und halten lange das Unentschieden. Am Ende ist es dann Demichelis, der sich nicht an das Stillhalteabkommen hält und nach einer Ecke den Ball in die Maschen drischt. Das besiegelt den Abschied von Rehakles von der großen Fußballbühne, der zweite argentinische Treffer geht in dem Meer aus Tränen unter, welches die beinahe 500.000 angereisten Fans ihrem Trainer-Gott bereiten. Otto der Große thront derweil versonnen auf seinem Olymp, denn er weiß, er hat den kommenden Weltmeister gesehen. Das ist dann schon eine höhere Macht, beim Zeus, davor muss man sich verneigen. Erhobenen Hauptes gehen die griechischen Spieler vom Platz, sie können den Euro zwar nicht retten und rechnen im Kopf bereits wieder in Drachmen, doch alle wollen ihr Trikot mit Maradona tauschen. Der trägt aber Zwirn und drückt jedem gönnerhaft eine echt kubanische Zigarre von seinem Kumpel Fidel Castro in die Hand. Pafft mal einen, Jungs, es ist ja sonst schon Scheiße genug in Südafrika.
Das Parallelspiel geht hin und her, was ja auch die Blitztabelle der Gruppe verändert wie die Aktienkurse. Das Roulette bleibt letztlich bei Südkorea stehen, unter anderem auch, weil der Bundeligaspieler Martins unglaubliche Chancen auslässt, darunter eine einhundertneunzigprozentige. Kein Wunder, dass der bei Wolfsburg nur auf der Ersatzbank sitzt und da wohl auch bleiben wird, nach dieser WM. Schließlich einigt man sich auf dem Platz auf ein Unentschieden der besseren Sorte, ein Zweizwei, was aber nur einer Mannschaft wirklich weiterhilft: Südkorea.
Noch ein kurzer Ausblick auf den folgenden Tag mit den Entscheidungen in der englischen und deutschen Gruppe. Nach der derzeitigen Konstellation sollte jeweils eine europäische Mannschaft weiterkommen, ich tippe in beiden Fällen auf Jugoslawien. Mein Gott, zwei Mannschaften bei der WM dabei, zwei weitere in letzter Sekunde gescheitert und das Kosovo ist noch nicht einmal FIFA-Mitglied. Die Unabhängigkeitskriege haben sich für das Land echt gelohnt, diese Partisanentaktik lässt sogar Deutschland und England zittern. Für Deutschland stellt sich dann die existenzielle Frage: Macht ein Ausscheiden in der Vorrunde Gauck zum Präsidenten? Tritt Merkel noch vor Löw zurück? Wird angesichts von Matthias Sammer die Wiedervereinigung rückgängig gemacht? Kann man Jugoslawien dazu zwingen, wenigstens fußballtechnisch nur noch ein Team zu stellen? Morgen steht viel auf dem Spiel, ich hoffe, die FIFA hat die richtigen Entscheidungen getroffen. Im Sinne des Euros und für die WM.