Prag - Belgien zieht tatsächlich bereits um 18 Uhr ziemlich viele Neugierige in Fred’s Bar. Der Geheimfavorit, der so lange unter der Hand gehandelt wurde, bis auch der letzte Wettbetrüger in Phnom Penh mitbekommen hat, dass man auf die Roten Teufel besser nicht setzt, stolpert ins Turnier. Statisch, langsam, einfallslos. Und nach einem Elfmeter auch noch hinten liegend. Ich schimpfe wild drauflos, mein Gott, sie spielen gegen Algerien, von der Mannschaft kenne ich nicht einen einzigen Spieler mit Namen. Nichts gegen Algerien, immerhin haben sie bei der WM 1982 Jupp Derwalls überhebliche Truppe bis auf die Knochen blamiert und sind nur nach jenem denkwürdigen ballgeschobenen Spiel zwischen Deutschland und Österreich ausgeschieden. Das ist aber 32 Jahre her. Der Geheimfavorit spielt gegen Algerien, nicht gegen Argentinien, Brasilien, Chile, Deutschland, England oder Frankreich. Wenn man aus dieser Gruppe nicht weiterkommt, aus welcher Gruppe denn dann?
Wilmots wechselt den Sieg ein
Der Geheimfavorit, der so lange unter der Hand gehandelt wurde, bis auch der letzte Wettbetrüger in Phnom Penh mitbekommen hat, dass man auf die Roten Teufel besser nicht setzt, stolpert ins Turnier. Statisch, langsam, einfallslos.
Marc „Kampfschwein“ Wilmots hat seinen Spielern in der Pause dann sicherlich dermaßen in den Arsch getreten, dass die Fußspitze das Hirn gekitzelt hat. In der zweiten Hälfte wird das Spiel besser, schließlich wechselt der Teufelsbeschwörer auf der belgischen Trainerbank mit jenem Spieler mit F, auf den ich gerade nicht komme, der da in England spielt, der halt, Sie wissen schon, die Wende ein. Der mit F köpft wie einst Uwe Seeler gegen England mit dem Hinterkopf ein, dann setzen die Belgier noch einen Konter und die Blamage ist abgewendet. Algerien wird auch sichtlich müde, ich erkundige mich in der Runde, ob jemand weiß, wann Ramadan in diesem Jahr ist, ob es vielleicht damit zu tun hat. Fazit: Der Geheimfavorit setzt sich mühsam durch, vielleicht waren sie auch einfach am Anfang nervös.
Ein Superspiel ohne Tore
Dann folgt der bisherige Knaller des Turniers. Brasilien gegen Mexiko ist 96 Minuten lang Pressing und Gegenpressing, hin und her in höchstem Tempo und mit größter Intensität, ein Spiel, bei dem man nie weiß, auf welche Seite sich die Waagschale neigt. Mexiko geht voll mit, ohne jeglichen Respekt, sie zwingen die Brasilianer in die Zweikämpfe und suchen mutig den Abschluss. Schüsse aus der zweiten Reihe ist ihre Taktik, sie merken schnell, dass es zu viel Kraft kostet, sich ganz bis vors Tor durchzuspielen und sie außerdem anfällig für Konter macht. Also spielen sie einen Spieler frei, der es dann mal probiert. Das sieht natürlich gut aus, verfehlt aber effektiv gesehen meistens doch knapp das Ziel.
Brasilien arbeitet sich ab
Gegen Ende des Spiels wünsche ich mir keine Tore mehr, keine der beiden Mannschaften hat eine Niederlage verdient, dieses Nullnull stellt für mich das bisher interessanteste Spiel der WM dar.
Auf der Gegenseite sieht man Brasilien 2014. Das ist das Team von Marcello, dem Mittelfeldarbeiter bei Real Madrid, von Luis Gustavo, dem Mittelfeldarbeiter, der sich bei Bayern München nicht durchsetzen konnte, von Neymar, dem Zuarbeiter von Messi beim FC Barcelona. Und so arbeitet Brasilien 2014 Fußball, rackert, läuft, grätscht. Da ist kein Ronaldinho, kein Ronaldo, kein Rivaldo oder Romario, kein Spieler für magische Momente. Da ist keine spielerische Leichtigkeit. Da ist eine Mannschaft, die einen Elfmeter schinden muss, um gegen Kroatien auf die Spur zu kommen, und gegen Mexiko in keiner Phase ein spielerisches Übergewicht herstellen kann. Da ist aber auch eine Mannschaft, die ein ganzes Spiel hohes Tempo gehen kann, in die Zweikämpfe geht und fightet. Gegen Ende des Spiels wünsche ich mir keine Tore mehr, keine der beiden Mannschaften hat eine Niederlage verdient, dieses Nullnull stellt für mich das bisher interessanteste Spiel der WM dar.
Was wird Brasilien bei dieser WM erreichen? Werden sie eine Chance haben, wenn sie auf Mannschaften mit Kreativkräften wie Argentinien, Holland oder Italien treffen? Wird sich noch ein Spieler zum Taktgeber im Mittelfeld freispielen? Man wird sehen.
Auch gesehen habe ich Russland gegen Südkorea und die beiden Tore, eines auf jeder Seite. Aber erlebt habe ich es nicht, nach der Brasilien-Mexiko-Leidenschaftsschlacht war ich ausgelaugt, beide Mannschaften haben aber ihre Chance noch verdient.
Gerd Lemke