Prag - Tag 15: Letzter Tag der Gruppenspiele, letzte Möglichkeit bei dieser WM, Spiele anzuschauen, bei denen es um rein gar nichts mehr geht. Es ist mal wieder Biergarten-Wetter. Spaniens Ersatzmannschaft schlägt Saudi Arabien 1:0.
Die Disziplin lässt nach. Einige schauen nicht mehr ständig auf die Leinwand, sondern lesen lieber den Guardian. Typisch Engländer, deshalb verlieren sie auch regelmäßig die Elfmeterschießen. Andere versuchen sogar mit Mädchen zu flirten! Dabei läuft doch Fußball!
Beim zweiten Spiel sitze ich gar alleine am Tisch, die anderen gehen essen. Es läuft ein richtig lahmer Kick, Ukraine gegen Tunesien. Ich warte auf meine Lebensbegleiterin und stelle Beobachtungen an. Die Mädchen der Einheimischen sind ja nicht alle hübsch, aber doch zumindest sexy. Wenn ich es auch beispielsweise übertrieben finde, an jedem Finger einen Ring zu tragen. Oder mit Push-ups Körbchengröße D zu suggerieren.
Polen und das Jahr 1946
Die erste Halbzeit ist vorüber, nichts ist passiert. Ein Tunesier fliegt aus völlig schleierhaften Gründen vom Platz. Dann bekommt Schewtschenko einen lächerlichen Elfmeter. Ukraine gewinnt, ich gehe aber noch vor dem Abpfiff mit meiner Lebensbegleiterin zum Abendessen.
Kaum bin ich im Biergarten zurück, rassele ich mit dem ersten Fan zusammen. Er trägt ein olivgrünes Deutschland-T-Shirt, das Nazi-Symbole zeigt. Skinhead-Scheiße halt. Sage ihm auf englisch, dass ich es geschmacklos finde. Er antwortet, ich solle nachdenken, was 1946 geschah. Wieso 1946, da war doch gar keine WM? Ich versuche, im Spiel für Togo zu sein. Doch ganz kann ich meine Sympathie für Frankreich nicht ablegen. Denke aber während des ganzen Spiels darüber nach, was mit den Franzosen eigentlich los ist. Sonst waren die doch nicht so. Stolz auf ihr Land, die hatten es aber nicht nötig, mit Nazi-Symbolen zu provozieren.
Trezeguet versiebt wieder mal eine Chance nach der anderen - so kennen wir ihn ja. Togo bricht jeden Angriffsversuch zwanzig Meter vor der Torlinie ab. Der Respekt vor der früheren Kolonialmacht sitzt also noch tief. Meine Freunde rufen: „Go go Togo, no goals against Togo!“ Und wetten auf Einwürfe. Dann bricht ein Jubelsturm durch den Biergarten, wenig später noch einer. Vieirra und Henry erlösen den Weltmeister von 1998. Geschafft, Achtelfinale, Zidane hat noch ein Spiel.
Rugby vs. Fußball
Komischerweise hat mein Skinhead-Feind vom anderen Tisch gar nicht mitgejubelt. Er schaut einfach nur stoisch auf den Bildschirm. Es ist sowieso ein komische Gruppe, ein Waliser erzählt von einer Rugby-Meisterschaft, mit dem Rücken zum Geschehen. Zwei Franzosen schauen das Spiel, zwei Mädchen versuchen sich in einem Gedulds- und Geschicklichkeitsspiel. Können die nicht in einen anderen Biergarten gehen?
Nun ja, es stellt sich heraus, dass mein Skinhead-Freund aus Polen kommt. Da wird mir natürlich alles klar. Ich verbinde es mit dem Ereignis vom 1. Mai 2004. Danzig, zentraler Platz. Polen feiert den Beitritt zur EU, die polnische Nationalhymne erklingt und ein Drittel der Menschen begrüßen das historische Ereignis mit dem römischen Gruß. Irgendwas ist in diesem Land schief gelaufen, daran kann nicht nur die katholische Kirche Schuld sein. Wenn ich Probleme mit Leuten bekomme, sind das immer wieder Polen (nicht jedoch Polinnen). Irgendwie habe ich das Gefühl, die müssen sich was beweisen. Was bei der WM allerdings gründlich in die Hose gegangen ist. Nick gibt mir die Bestätigung. Die einzigen Hooligan-Probleme gab es bei dieser WM bisher mit Polen. Kein Wunder, denke ich mir.
Kim, Lee, Park, Cho, Choi scheiden aus
Zurück zum Spiel. Zum Abschluss der Vorrunde steht noch Schweiz gegen Südkorea auf dem Programm. Bei Südkorea laufen vier Mal Kim, vier Mal Lee, ein Mal Park, Cho und Choi auf. Auf der Ersatzbank sitzen noch fünf Lees, vier Kims, zwei Chos, ein Choi und ein Park. Kein Wunder also, dass man die immer verwechselt, wenn die alle gleich aussehen.
Nick wiederum erklärt mir, dass die ursprünglich keine Nachnamen hatten, dann aber aus welchem Grund auch immer welche einführen mussten. Das muss so siebzig, achtzig Jahre her sein. Ergebnis dieser Neuerung sind die genannten fünf Nachnamen, auf die neunzig Prozent der Bevölkerung hört. Damit ist das Prinzip des Nachnamens zur besseren Identifizierung der Person auf den Kopf gestellt. Habe auch gehört, dass die koreanische Sprache ungefähr so viel mit den Nachbarsprachen Chinesisch und Japanisch zu tun hat wie der lappländische Dialekt der Samen mit dem Madeira-Portugiesisch.
Wir verlassen den Biergarten und gehen zu einer Party in einer Kneipe. Dort läuft zunächst noch Fußball, die Schweiz führt und gewinnt. Doch meine Aufmerksamkeit lässt bei Spiel 48 allmählich nach. Die Gruppenphase schlaucht ganz schön. Dann hat die Bedienung ein Einsehen und bricht das Spiel in der 63. Minute ab. Als dann im Hinterzimmer der Vorhang brennt und uns der Gestank auf die Straße treibt, bin ich endgültig bedient. Jetzt will ich einfach bald nach Hause. Erkläre noch einem Polen, wie man einen Zigarettenautomaten bedient. Er ist überglücklich und läuft schnell wieder in den Night-Club an der Ecke.
Gute Nacht, Vorrunde, ab jetzt ist jedes Spiel wichtig und kann dein letztes bei dieser WM sein. Sechzehn Mannschaften mussten wir in den vergangenen vier Tagen verabschieden, am meisten tut es mir um die Einheimischen und um Polen leid. Wie gerne hätten wir sie noch länger zu Gast bei Freunden gehabt!
Ihr deutscher WM-Beobachter in Prag
So, eine Auflösung steht mindestens noch aus. Und die heißt Saarland. Keine weiteren Fragen mehr. Ab morgen gehts um die Wurst.