Prag - Uff, geschafft, die Vorrundenfolter ist vorbei. Am Anfang macht es viel Freude Spiele wie Philippinen gegen Fidschi Inseln zu verfolgen, vierzehn, fünfzehn Tage Vollversorgung mit drei bis vier Spielen am Tag. Fiese Fouls, falsche Pfiffe, fanatische Fans, flinke Verteidiger, fehlende Fortune. Freistöße, Fehlpässe, Flanken, Führung, Verzweiflung. Vor Fußballüberfütterung fange if fon an fu lifpeln. Ftopp.
Lahm im Mittelfeld
Man merkt es dem Turnier an, die Gruppenphase liegt in den letzten Zügen, der letzte Gruppenspieltag war der torärmste. Die FIFA gönnt uns einen Tag Pause, ehe die WM richtig los geht. Deutschland schlägt in einem langweiligen Spiel die Klinsmänner durch ein Tor von Thomas Müller. Keiner hat sich verletzt, nur Benedikt Höwedes holt sich eine Verwarnung ab. Deutschland dominiert, die USA trauen sich nur selten nach vorne. Und produzieren dann Missgeschicke. Auf dem Weg in eine aussichtsreiche Position kreuzt ein US-boy die Laufwege des usbekischen Schiedsrichters und bleibt liegen. Kein Foul. Später geht Jermaine Jones beherzt in einen Zweikampf mit einem Mitspieler, beide bleiben liegen, wieder kein Foul. Jermaine, rufe ich, deine Karriere im Team mit dem Bundesadler auf der Brust – na ja, so was es einmal – ist vorbei. Es gießt in Strömen, dem deutschen Spiel mangelt es an Präzision beim letzten Pass oder an der Feinmechanik, wenn wieder einmal unsere Vorstoppergilde nach komplizierten Ballstafetten und wunderbar ineinander übergehende Dreiecke und Vierecke freigespielt werden. Wenn gar nichts hilft, dann muss in Löws hochkomplexer Spielanlage am Ende doch ein Stürmer für ein Tor sorgen, ziemlich konventionell. Herr Löw, das geht doch auch komplizierter!
USA kommen weiter
Klinsmann strahlt nach dem Spiel, als habe er gewonnen. Das macht die Amerikaner misstrauisch, die erst auf den Webseiten der CIA nachschauen müssen, dass zwar die Schlacht verloren, der Krieg aber gewonnen ist. Eine falsche Amerikanerin beglückwünscht mich zum Spiel, ich wehre natürlich ab. Ich habe daran keinen Anteil und mich gelangweilt.
Ich sitze vor mich hin in Fred’s Bar und langweile mich beim Geschwätz der anwesenden Amerikaner, die vorgeblich das Spiel verfolgen. Ein ordentlicher Fußballtalk kommt dabei nicht heraus. Ganz am Ende, als es schon um nichts mehr geht, parallel gewinnt Portugal immerhin das letzte Spiel, hat aber wegen des miesen Torverhältnisses keine Chance auf ein Weiterkommen, da kommt noch mal Stimmung in die Bude, die USA tauchen mal vor Neuer auf. Die Amis kreischen, als ginge es um den Hot dog. Ist richtig schön konditioniert, diese Nation, finde ich, fast zwei Stunden produzieren die anwesenden Exemplare nur Grundrauschen im Kommunikationskanal, doch auf Knopfdruck sind sie voll da und sondern Hysteriegekreisch ab. War das nun authentisch oder doch nur vom Band? Klinsmann strahlt nach dem Spiel, als habe er gewonnen. Das macht die Amerikaner misstrauisch, die erst auf den Webseiten der CIA nachschauen müssen, dass zwar die Schlacht verloren, der Krieg aber gewonnen ist. Eine falsche Amerikanerin beglückwünscht mich zum Spiel, ich wehre natürlich ab. Ich habe daran keinen Anteil und mich gelangweilt. Anschließend erwäge ich ernsthaft, den Fußballabend damit zu beenden, doch nach einer kräftigen Stärkung finde ich mich abends doch wieder ein, ist ja das letzte Mal für diese Vorrunde.
Russland enttäuscht
Außerdem spielen Russland und Algerien den deutschen Achtelfinalgegner aus. Nach einer frühen Führung, schöner Kopfball in den Winkel, fällt den Russen nicht mehr wirklich viel ein, Algerien tastet sich an das Spiel heran. Torwart Akinfeev setzt sich nach seinem Eigentor gegen Südkorea noch ein Mal gekonnt in Szene und greift an einer Flanke vorbei, Ausgleich. Damit ist er ein ernsthafter Konkurrent für Iker Casillas beim inoffiziellen Bartez-Gedenk-Wettbewerb um den Butterhandschuh. Algerien steht im Achtelfinale und rüstet sich 32 Jahre später für die Rache für Gijon.
Belgien bleibt Geheimfavorit
Belgien gewinnt auch das letzte Gruppenspiel mit einem Tor Unterschied. Die Fußballer des innerlich zerrissenen Landes erfüllen ihr Soll als offizieller Geheimfavorit des Turniers, ohne aber spielerisch überzeugen zu können. Außerdem holt sich ein Spieler in dem bedeutungslosen Spiel gegen Südkorea eine rote Karte ab, er steigt seinem Gegenspieler mit der Sohle aufs Schienbein. Dieser Stresstest des Schienbeinschoners ist beim Unparteiischen nicht angemeldet, dem nach den neuen FIFA-Richtlinien keine andere Wahl bleibt. Schön blöd.
So, Vorrundenfußball ist fertig für vier Jahre.
Gerd Lemke