Ich nutze die familienfreien Tage zu intensiver Meinungsforschung. Begünstigt durch zwei Feiertage im Land kann ich mich gefahrlos an die Brennpunkte wagen, tagsüber in den Biergarten, abends bzw. spätabends in die Kneipen. So erfahre ich, dass Silwia ihrem Landsmann Luka Modrić nicht einmal ein Getränk geben würde, tauchte er hier auf. Zu verbittert ist noch die Stimmung wegen der Vorgänge und Aussagen um einen Fußball-Transfer-Mafioso in Kroatien. Immerhin Kramarić hat sich einem Vertrag mit diesem versagt, deshalb ist er auch nur über Umwegen im Spielerparadies Hoffenheim gelandet, wo man sich aber so richtig mal auf die Hauptsache im Leben eines Fußballprofis konzentrieren kann. Das wendet wiederum Keith ein, der gerade von einem Konzert der Rolling Stones kommt. Unglaublich, als ich jung war, waren die Stones schon alt. Jetzt werde ich langsam, aber sicher alt und die Stones sind wieder jung. Es muss sich dabei um ein Zeitparadoxon handeln.
Wird England Wald-, ähm, Weltmeister? Dazu gibt es geteilte Meinungen, Tatsache aber ist, dass der Weg ins Finale frei zu sein scheint. Fußballromantiker wünschen sich ein Endspiel Belgien gegen Kroatien oder Uruguay gegen, eigentlich wieder Kroatien, Schweden und Russland stehen in der Beliebtheitsskala relativ weit unten. Schweden ist fußballerisch einfach zu limitiert – sie haben ja sogar gegen Deutschland verloren, das hat in diesem Jahr sonst nur Saudi Arabien geschafft.
Was machen Löw und Bierhoff?
Ach ja, Deutschland, intensives Internetstudium ergibt ein wirklich drolliges Bild der Situation. Löw macht weiter, er hat wohl hart mit sich gerungen, doch 10.000 Euro Salär am Tag wirft man nicht so einfach weg. Man kann nun nicht mit Sicherheit feststellen, dass die Fußballnation erleichtert darüber wäre. Mittlerweile wissen alle, dass Trainer Löw denselben Berater wie die Spieler Özil und Gündogan sowie der Stuttgarter Trainer Korkuth hat. Mögliche Interessenkonflikte bei der Spielerwahl und Aufstellung scheinen jedoch beim DFB keinen Anstoß zu erregen.
Seitens der Spieler gibt es auch nichts Neues, alle sind wohl weg im Urlaub, keiner ist zurückgetreten, nicht einmal Gomez aus Altersgründen. Es scheint wirklich lukrativ zu sein, bei der Nationalmannschaft mitzumachen. Bierhoff hat da wohl marketingtechnisch einiges auf die Beine gestellt, früher war das Mitmachen bei der Nationalmannschaft ja noch eine Ehrensache, die mit einem Trinkgeld entlohnt wurde. Nun, Bierhoff hat etwas über Özil gesagt, das dann teilweise wieder zurückgenommen, was natürlich nicht geht, zumindest aber hat er angedeutet, dass man – natürlich im Nachhinein gesehen – hätte darüber diskutieren sollen, im Vorhinein aus sportlichen Gründen auf den Spieler zu verzichten. Danach hat sich Bierhoff wieder entschuldigt und alles war doch ganz anders gemeint. Vieles deutet darauf hin, dass Özil zum Rücktritt getrieben werden soll, doch der schweigt weiterhin eisern und lässt seinen Vater sprechen, der dem Sohn, den er angeblich nur noch sporadisch spricht, Gekränktsein im kritischen Stadium attestiert. Nun ja, wie dem allem auch sei, zum Glück gibt es in Deutschland noch Horst Seehofer und den amateurhaften Versuch, Merkel zu stürzen, das lenkt von all den Peinlichkeiten um den deutschen Fußball ab. Und was macht Löw? Er geht in Klausur und verordnet sich bis August öffentliches Auftrittsverbot. Na dann schönen Urlaub und ertragreiche konzeptionelle Arbeit!
Ohne Cavani chancenlos
Sie sehen, bei meinen Recherchen über die Fußballstimmung habe ich keine Mühen gescheut und bin dorthin gegangen, wo es weh tut, so dass ich Viertelfinaltag 1 komplett zu Hause verbringe und gegen Sodbrennen ankämpfe. Während Frankreich gegen das Cavani-lose Uruguay gar nicht so viel Mühe hat, knattern draußen ununterbrochen schwere Maschinen vorbei, Harley-Treffen in Prag. Uruguay vergibt seine einzige echte Torchance kurz vor Pausenpfiff, Lloris hält glänzend einen Kopfball von Godin (?) oder einem anderen Abwehrrecken oder vielleicht doch Mittelfeldspieler, ist jedenfalls egal, denn ein Stürmer war es jedenfalls nicht, der hätte im Nachsetzen das Verhältnis von Rundem und Eckigem ins rechte Lot gesetzt. Ich schreibe Mittelfeld, doch laut Analyse eines meiner Kunden spielt Uruguay ja eigentlich ohne Mittelfeld. Ich kann das nur bestätigen, Uruguay überbrückt das Mittelfeld recht schnell und versucht schnell in die Spitze zu spielen. Leider fehlt, wie bereits geschrieben, Cavani und außerdem macht der uruguayische Torwart einen echten Karius, so taufe ich jetzt die Fliegenfängerei, wenn man sich einen Weitschuss bei freier Sicht, der auch noch auf den Torwart in optimaler Höhe angesegelt kommt, ins eigene Netz legt. Bevor die Gauchos vom linken Ufer des Rio de la Plata ganz die Segeln streichen, hinterlassen sie noch ein paar nachdrückliche Eindrücke auf den Schienbeinen ihrer Gegenspieler und dann ist es geschafft.
BeBra Zweieins
Nach dem ersten Viertelfinalspieltag ist Europa unter sich. Im mit Abstand besten Spiel der Weh Emm schlägt Belgien Brasilien, also kurz gesagt BeBra Zweieins. Nicht nur brutal, wie Be gegen Bra kontert, das geht schneller, als ich diesen Satz schreiben kann, sondern auch, wie gut es Be gelingt, Ney von Bra aus dem Spiel zu nehmen, so dass von dem Star nicht einmal das -mar übrig bleibt. Wenn man das Spiel wie Trainer Löw (der von englischen Zungen „lou“ ausgesprochen wird) verpasst hat, sollte man es sich unbedingt nachträglich ansehen, deshalb verzichte ich auf weitere Zeilen und begebe mich auf die Straße, wo ich erstaunlich viele Motorradfahrer zu Fuß treffe, sie kommen vom alten Messegelände und ziehen weiter. Ich habe das Gefühl, dass es eine Altersbeschränkung für den Erwerb einer Harley Davidson Maschine geben muss, unter 45 geht da sicherlich nichts. Nun, mein Sodbrennen hat sich immerhin soweit beruhigt, dass ich den Magensaft in einem vietnamesischen Restaurant mit Nudeln und Gemüse anreichern kann. Das anschließende Bier schmeckt nicht und ich verzichte auf eine weitere Fußballanalyse.
Wieder Anpfiff auf der Autobahn
Am folgenden Tag spielt England und ich erlebe den Anpfiff mal wieder auf der Autobahn zwischen Pilsen und Prag. Ich komme aber noch rechtzeitig in Freds Bar, bevor das Einsnull fällt. Im gesamten Turnier habe ich ja noch kein richtiges Spiel der Engländer gesehen, im Duell mit Tunesien reichte es nur für die letzten Minuten und dem entscheidenden Tor von Kane, gegen Panama habe ich nach einer Stunde etwas anderes unternommen, weil die Sache zu einseitig war – schaut man denn einer Schnecke in einem Wettrennen mit einem Hasen zu? - das allerletzte Gruppenspiel Belgien B gegen England B habe ich mir erspart, den größten Teil des Spiels gegen Kolumbien verbrachte ich auf besagter Autobahn, für mich hat Kolumbien das Spiel mit Einsnull gewonnen, keine Ahnung, warum man danach noch Elfer ballern musste.
Keine Schweden da
Nun, Freds Bar ist ziemlich enttäuschend, Fred, der alte Schwede, wohl auf dem Weg in die Heimat und die anderen Schweden lassen sich nicht blicken. Bleibt nur, dem Häuflein Engländer beim Jubeln zuzusehen. Schweden kann den Gegner in keiner Phase des Spiels richtig fordern und tut ihm am Ende nicht einmal weh, England gewinnt nach zwei Kopfballtoren, Kane trifft diesmal nicht und zwei Jahre nach dem Brexit darf England wieder von der Weltherrschaft träumen.
Die Lebensgefährtin MM, die ich ja eigens mitsamt Kind wieder nach Prag befördert habe, taucht während des Spiels kurz auf und testet meine Fähigkeit im Lippenlesen. In Worten besagt es, dass ich nach dem Spiel gefälligst an einem anderen Ort zu erscheinen habe, um mich um das Kind zu kümmern. Letzteres ist mir ein Vergnügen, wir gehen auf den Spielplatz und überbrücken die Zeit bis zum Kroatien-Russland-Knaller.
Während des Spiels knallt es dann aber ganz gewaltig, sowohl auf als auch neben dem Platz. In kürzester Zeit ziehen sich alle Tischnachbarn zurück, Zoe plärrt auch. Zum Spiel ist eigentlich nicht viel zu sagen, Russland spielt die Außenseitertaktik aus dem Spanien-Spiel und hat sogar vorübergehend Erfolg. Schöner Fernschuss, alle Achtung. Doch nur ein paar Minuten später gleicht Kramarić, der Mafia-Resistente, aus. Vor Freude für die Co-Heimat bepisst sich das Kind, leider durch die schlecht sitzende Windel, welche die Lebensgefährtin gerade frisch angelegt hat, auf mein Hemd. Zum Glück ist Babyurin meist vollkommen geruchslos, doch irgendwie ist bei mir damit die Laune dahin. Ich bezichtige MM, sie mich und den Rest kann man sich vorstellen, das Kind schreit dazwischen, die Leute am Tisch rücken ab und das Ende vom Lied ist, dass wir nach Hause gehen – getrennt, also ich mit Kind auf dem Arm und Kinderwagen, sie mit Umwegen.
Verlängerung zu Hause
Nun, bis ich das Kind beruhigt, gefüttert und ins Bett gebracht habe, bricht die Verlängerung an, bei der die hochgedopte Russen- und Russländer-Truppe keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigt und sogar nach einem Gegentor nochmals zurückkommt. Zweimal hintereinander hat meines Wissens noch kein Team ein Elfmeterschießen gewonnen, also müsste Russland diesmal ausscheiden. Tut es dann auch, Kroatien ist im Halbfinale, Gott sei Dank, denke ich. Das wäre einfach zu viel Machtdemonstration von Putin geworden, wenn er sich den hochkorrupten Fußballverband auch noch gekauft hätte. Mit dem Viertelfinale ist der Gastgeber im Soll, im Elfmeterschießen ausscheiden ist ehrenhaft, auf dem Feld ungeschlagen, könnte man sagen (Abgesehen von dem deprimierenden 0:3 gegen Uruguay). Und Kroatien? Das erste Team, das zwei Mal hintereinander im Elfmeterschießen gewinnt, das sind ja beinahe Verhältnisse wie Portugal bei der Eh Emm 2016. Und die haben gewonnen, außerdem ist aus der Weh Emm nun auch eine Eh Emm geworden, mal sehen, wer am Ende die Nase vorn hat, Fritten, Baguette, Fish'n'Chips oder Ćevapćići.