Es ist Samstag, wieder ist es dunkel und eiskalt. Diesmal stehe ich nicht an der Tramhaltestelle, sondern laufe im Eiltempo dorthin. Ich bin nämlich zu spät, viel zu spät. Gott sei dank ist Sylvia heute auch wieder nicht pünktlich, sodass ich kein schlechtes Gewissen haben muss. Als ich völlig außer Atem dort ankomme, steigt sie gerade aus der Tram. Oh, und da kommt auch schon die Nummer 9, die uns auch heute wieder tief in das ehemalige Arbeiterviertel Žižkov transportieren wird, wo wir auch heute Abend wieder auf ein Konzert gehen werden. Auch dieses Mal handelt es sich wieder um ein Urgestein der tschechischen Musikgeschichte. Ich freue mich, denn heute steht HUDBA PRAHA auf dem Programm und damit der direkte Vergleich mit der Band von gestern. Hatte ich gestern mit JASNÁ PÁKA sozusagen das Original der 1981 gegründeten Band gesehen, ist heute ihr Nachfolger an der Reihe. Denn nach nur zwei Jahren des Bestehens wurde JASNÁ PÁKA vom kommunistischen Regime verboten, da sie zu sehr dem Ideal einer Rockband westlicher Prägung entsprachen. Einige der Musiker hatten sich im Anschluss zu HUDBA PRAHA zusammengefunden, die bis vor kurzem das Erbe von JASNÁ PÁKA vertrat. Nun haben die Gruppen beschlossen, in Zukunft getrennte Wege zu gehen, und einzig Michal Ambrož ist noch Bestandteil beider Bands.
Angeregt unterhalten wir uns, was uns wohl heute Abend erwartet. Im Gegensatz zu Sylvia hatte ich die Band ja schon mal vor einem Jahr in Pilsen gesehen und war damals weniger begeistert: Eine Stunde Verspätung, nur anderthalb Stunden Konzert, und dann nach nur einem Lied als Zugabe Schicht im Schacht. Aber bei einem Kartenpreis von 200 Kronen pro Stück, wofür man in München noch nicht mal einen Fuß in einen Klub setzten kann, geschweige denn ein Konzert sehen, kann man schon mal was riskieren. So ins Gespräch vertieft achten wir natürlich nicht auf die Haltestellen und springen beim Anblick des Žižkov vež erschrocken auf der Tram. Schlechte Idee, denn wir befinden uns noch ein gutes Stück vom Akropolis weg. So kommen wir in dieser Nacht dann doch noch in den Genuss bei gefühlten minus zwanzig Grad auf die Tram zu warten, und das obwohl wir doch eh schon super spät dran sind. Naja irgendwann kommt die Tram und wir erreichen ganze zehn Minuten vor Konzertbeginn die Lokalität. Nun bin ich ehrlich gesagt sehr froh, dass HUDBA PRAHA auch heute nicht pünktlich auf der Bühne stehen. So haben wir noch Zeit, die Jacken abzugeben, und mit einem Bier in der Hand bahnen wir uns dann den Weg auf die Balustrade. „Erstaunlich viele Menschen hier oben“, stellen wir etwas entsetzt fest, denn der tolle Platz von gestern, bei dem man freie Sicht auf die Bühne hatte, ist nun schon besetzt. So finden wir dann nur noch in der letzten Reihe auf der Seite ein Plätzchen. Erst dachte ich ja, der Andrang hier oben sei aufgrund der großen Popularität von HUDBA PRAHA im Vergleich zu JASNÁ PÁKA, die ja nur zwei Jahre existiert hatten, zu erklären, doch bald werde ich eines Besseren belehrt werden. Als die acht Bandmitglieder dann mit einer sehr angenehmen Verspätung von 30 Minuten „endlich“ auf die Bühne kommt und zu spielen anfängt, fällt mir sehr schnell auf, dass HUDBA PRAHA anscheinend die eher langsameren Lieder des gemeinsamen Songpools mit JASNÁ PÁKA behalten haben. Und die zwei Saxophone erzeugen zudem einen eher bluesigen Sound. Zwar können sie immer noch Klassiker wie „ Máma, Táta“ ihr Eigen nennen, bei denen die Menge durchaus auch abgeht, doch den Großteil der Uptempo-Nummern hat sich JASNÁ PÁKA mit ihren drei Gitarristen geschnappt. Das ist auch irgendwie verständlich, da diese doch weitaus mehr Mitglieder durch jüngere Musiker ersetzte haben, die dann auch deutlich mehr Kondition aufweisen. Im Gegensatz dazu sind bis auf die beiden Sängerinnen bei HUDBA PRAHA alle anderen Musiker noch Originale und damit nicht mehr ganz so jung und durchtrainiert. Dies zeigte sich auch daran, dass Ambrož und Kollegen im Durchschnitt alle drei bis vier Lieder ein großes Handtuch hervorholen und sich erst mal trocken rubbeln. Einen ähnlichen Eindruck spiegelt auch das Publikum wieder. Waren bei JASNÁ PÁKA durchaus etliche Twens und sogar ein paar Teenager dagewesen, so liegt die Altergrenze am heutigen Abend doch deutlich höher. Genau wie der Bierkonsum der Band im Übrigen.
Sehr zu meiner Freude gibt es nach Ende des Konzerts dann auch ganze zwei Zugaben. Die erste mit den Evergreen „Cau Amore“ und die zweite dann sogar mit einem Accapela-Lied. Mittlerweile haben wir uns auch in die Mitte der Sitzreihen vorgearbeitet und nun exzellente Sichte auf das Geschehen.
Insgesamt würde ich sagen, dass sich die beiden Bands in nichts nachstehen. Sowohl JASNÁ PÁKA also auch HUBDBA PRAHA sind musikalisch top. Es muss nur jeder für sich entscheiden, ob er es eher rockig oder doch ruhiger und etwas langsamer mag, oder vielleicht sogar beides, so wie wir es an diesem Wochenende erlebt haben.
Ich muss sagen, ich fand es sehr interessant die beiden Bands an aufeinander folgenden Tagen live zu erleben und möchte das Erlebte nicht missen, auch wenn ich in Zukunft vielleicht doch JASNÁ PÁKA bevorzugen werde.
Ein letzter Hinweis an die Männerwelt und sonstige Anhänger hübscher Frauen: HUDBA PRAHA hat eindeutig die heißere Blondinka!