Ich stehe an der Tramhaltestelle „Švandovo Divadlo“, es ist stockdunkel und eiskalt. Fast auf den Tag genau vor zwei Wochen begann hier der Ausflug zu Billy Talent. Auch heute bin ich wieder unterwegs zu einem Konzert. Nach Žižkov ins Akropolis soll es gehen. Doch diesmal nicht zu einem internationalen Spitzenact, sondern zu einer der wohl besten tschechischen Rock-Bands ever. JASNÁ PÁKA wird heute nach fast 25 Jahren Bandpause, beziehungsweise nachdem sich Teile der Band zu HUDBA PRAHA ungeformt haben, auftreten und ihr Comeback feiern. Ich bin gespannt, handelt es sich doch hierbei um die erste tschechische Band mit der ich jemals in Berührung kam. Damals als ich noch ein Teenager war, und meine Liebe zu Prag noch nicht loderte. So manch einer der werten Leser mag sich daran erinnern, dass ich mich letztes Jahr im Oktober schon am Ziel meiner Träume wähnte, als ich in Pilsen auf einem Konzert von HUDBA PRAHA, sozusagen der Nachfolgeband von JASNÁ PÁKA, war. Und wer den Artikel damals gelesen hat, weiß auch, dass meine Erwartungen von dem Konzertspektakel schlechthin, wie ich es aufgrund von Erzählungen von Konzerten von JASNÁ PÁKA aus den 80ern erwartet hatte, enttäuscht wurden. Doch heute Nacht sollte ich die „legendarni kapelna“, wie sie im Programm des Akropolis betitelt werden, im Original erleben und meine Erwartungen sollten diesmal mehr als erfüllt werden.
Doch davon hatte ich im Moment bestenfalls eine Vorahnung. Denn gerade stand ich noch an der Tramhaltestelle und wartete auf meine Freundin Sylvia, die sich bereit erklärt hatte, trotz totaler Unkenntnis der Band mit mir auf das Konzert zu gehen. Mit 30-minütiger Verspätung kam sie dann endlich! und fand mich halt tot gefroren, kurz vor dem Ableben. Gott sei dank kam in den nächsten Minuten dann auch Tram Nr. 9 angefahren und ich konnte mich etwas mehr als eine Viertelstunde in selbiger aufwärmen, bis wir am Olšanské náměstí ankamen. Schnellen Schrittes, vielleicht zu schnellen; beinahe wäre ich nämlich von einem Auto, dass einfach bei rot um die Ecke geschossen kam, überfahren worden, liefen wir nun auf den Žižkov vež zu. Kaum hatten wir die Akropolis erreicht, unsere Jacken abgegeben, uns durch das Gängelabyrinth durchgeirrt und uns das obligatorische Bier für 25 Kronen! gekauft, betraten wir eilig die Halle. Hmm, genau wie vor einem Jahr in Pilsen befand sich vor der Bühne eine Traube Altrocker, mit Bierbauch, langen Haaren und noch längeren Bärten und ansonsten war die Halle ca. 20 Minuten der dem Konzert noch ziemlich leer. Innerlich dachte ich mir: „Na das kann ja was werden!“ Da wir keine so große Lust verspürten, uns dieser Runde anzuschließen, erklommen wir die Balustrade und konnten uns dort einen Platz relativ mittig in der ersten Reihe sichern, von wo aus wir nicht nur eine spitzen Sicht auf die Bühne hatten, sondern auch den idealen Platz zum Fotografieren und Filmen. Langsam füllte sich unten die Halle und auch immer Menschen verirrten sich zu uns hoch. Eigentlich hatte ich ja nach der Erfahrung von Pilsen, wo das Konzert eine Stunde später als angekündigt begonnen hatte, erwartet, dass es heute auch so sein würde. Doch kaum hatte ich mein Bier ausgetrunken und noch schnell eine Zigarette geraucht, da wurde es nun auch schon dunkel um uns. Nacheinander kamen die acht Bandmitglieder, unter ihnen auch der tschechische Rockgott, Sänger und Schlagzeuger, David Koller, auf die Bühne. Doch uns stach weniger Koller ins Auge als vielmehr der Liedsänger Petr Vaša mit seiner ausladenden, langen, grauen Lockenmähne. Dieser sollte während des ganzen Konzertes grazil wie eine Gazelle auf der Bühne rumspringen, immer wieder in Interaktion mit dem Publikum treten und einfach rocken, wie die gesamte Band. Denn kaum hatten wir uns versehen, befanden wir uns auf einer Reise zurück in die Zeit, als Konzerte noch wirkliche Happenings waren, die Musiker von Publikum nicht durch drei Meter Bühnengraben getrennt waren und Musik machen noch ein inneres Bedürfnis der Musiker war rund nicht nur kommerziellen Zwecken diente. Vor allem aber bekamen wir einen Einblick, wieso die Band damals vom kommunistischen Regime verboten worden war. Denn JASNÁ PÁKA ist unverfälschter Rock, so wie er in den 80ern im Westen populär war. Wir konnten beobachten, wie die Endvierziger rund um uns herum beim Klang der Musik wieder jung wurden und ähnlich dem Leadsänger abgingen. Etliche Male stieg uns sogar der Duft von Marihuana in die Nase.
Fast zwei Stunden rockten JASNÁ PÁKA dann das Akropolis und brachten die Halle wirklich zum Kochen. Vor allem bei den Klassikern wie „ryba badys“ oder „špinavý záda“ ging vor der Bühne die Moshpit so richtig ab und das Publikum war am Ende genauso durchgeschwitzt wie Petr Vaša, dessen hellrotes T-Shirt sich mit fortschreitendem Abend deutlich dunkler wurde und der sich vor der Zugabe die Löwenmähne zu einer extravaganten Hochsteckfrisur zusammenband. Doch ein Konzert ist erst dann richtig gut, wenn Band und Fans tropfnass sind! Sehr zu meiner Freude wurden nicht nur fast alle Klassiker durchgespielt, welche JASNÁ PÁKA offensichtlich nach der nun erfolgten Trennung von HUDBA PRAHA behalten hatte. Auch gab die Band vier neue Lieder zum Besten. Davon ist eins auch noch perfekt, um sich die Konjugation vom Verb „mít“ einzubläuen, der Refrain geht nämlich folgendermaßen „ Mám toho dost, máš toho dost, má toho dost, pomoc jĕštĕ, máme toho dost, máte toho dost, mají toho dost, pomoc jĕštĕ“. Anbei eine Videoversion davon.
Nach zweieinhalb Stunden und einer super Zugabe war das Konzert dann vorbei. Sylvia und ich genehmigten uns noch ein Bierchen und schwärmten von dem tollen Erlebnis, schon gespannt, ob HUDBA PRAHA, die morgen hier spielen sollten, uns auch so in Verzückung versetzten können würden.