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| | Panorama | 20.3.2011

Fotoschnecke, Schmetterling I und der 7. Himmel

Der nächste Morgen, mein erster wieder in Prag. Ich wache auf, richte den Blick gen Fenster und sehe strahlend blauen Himmel. Und da ist es wieder, dasselbe Gefühl, dass ich damals im Sommer 2008 hatte, als ich das erste Mal in Prag aufgewacht bin. Gutgelaunt stehe ich auf, ignoriere, dass die Katze gerade meinen Koffer zerkratzt, nachdem ich ihn nach dem Malheur gestern nun immer geschlossen habe, was sie wohl doof findet.

Nach einem kleinen Schwätzchen mit der Schlüsseldame, die heute ein wichtiges Vorstellungsgespräch hat, mache ich mich auch schon wieder los in die Stadt. Der Plan: Erst mal bisschen rumlaufen, dann so gegen Mittag habe ich Audienz bei Lucka. Ich springe Karlovo námĕstí aus der Tram und überlege mir, dass ich in die Vodičkova schlendern könnte, um dort einen Termin für den nächsten Schmetterling zu machen. Ich bin mir ein bisschen unsicher, immerhin habe ich mehr oder weniger spontan vor drei Tagen beschlossen, dass ich mich nun erneut dauerhaft verunstalten lassen will, wie meine Nachbarin das so schön nannte. Doch das Leben in Muc ist so langweilig und trostlos, ich brauche etwas Abenteuer und Adrenalin. Und als ich in meiner Pragspardose dann auch noch akkurat 1500 Kronen gefunden habe, genau soviel wie mich der letzte Schmetterling gekostet hat, war die Sache beschlossen. So und da steh ich nun mit klopfendem Herzen vor dem Eingang zum Tattoostudio Noname und rauche erst mal eine. Und dann muss ich zu meinem Entsetzten feststellen, dass die geschlossen haben und das um 11 Uhr vormittags. Hm, komisch. Hoffentlich sind sie nicht pleite gegangen!

Während ich mir so meinen Gedanken mache, was ich dann tun würde und dass ich es sehr schade fände, den schnuckeligen Tätowierer nicht wiederzusehen, laufe ich zurück Richtung Karlovo námĕstí. Im Albert kaufe ich mir ein Golfsandwich der Kette Crocodil, eines jener lappigen Fertigsandwichs, die ich zu Praktikumszeiten immer als Frühstück hatte und die ich in Muc so vermisse. Beglückt mit meiner Beute in der Tasche ziehe ich weiter in den Park und mache dort eine kleine Pause. Schließlich bin ich für Mittag immer noch sehr früh dran und will Lucka ja nicht erneut überrumpeln. So sitze ich in der Sonne, lasse meinen Gedanken mal wieder an all die schönen Erinnerungen zurückkehren, als plötzlich mein Handy piept! Und Tatsache, es ist die Fotoschnecke. Nach unendlich vielen SMS schaffen wir es dann auch, um für den Nachmittag zu verabreden. Wie ich mich freue!

So, nun beschließe ich, dass es spät genug ist und ich nun das PLD heimsuchen werde. Dort warten sie auch schon auf mich. Kaum haben wir uns in das sich langsam formierende Café im Eingangsbereich gesetzt, da läutet das Telefon. „Friedrich für Moni“, sagte die neue Praktikantin. Etwas verwirrt nehme ich das Telefon entgegen. Friedrich, seines Zeichens ehemaliger Pfarrer auf der Krim, war vor 11 Jahren mit Frau und Kindern vor der dortigen Mafia nach Tschechien geflohen, lebte einen halbe Ewigkeit im Kuhländchen, am Ende von Tschechien und war kurz bevor ich das Paradies verlassen musste, nach Prag gekommen. Als Literaturbegeisterter landete er schließlich als freiwilliger Mitarbeiter im PLD, wo wir uns kennen und schätzen gelernt hatten. Nach Jahren der Abstinenz, konnte er an mir wieder seine seelsorgerische Begabung ausleben, und wir uns beide stundenlang über das wunderbare Prag ereifern, von dem Friedrich auch so herrlich betrunken war und ist, wie ich. Wir verabreden uns als für die nächsten Tage auf einen Plausch im Café Louvre. Nun halte ich noch einen ebensolchen mit Lucka, die aber leider sehr im Stress war und so entflattere ich 30 Minuten später wieder in den Sonnentag.

Nach einem kurzen Shoppingstop im My, laufe ich dann eilig die Moldau entlang Richtung Philfak, wo meine Fotoschnecke schon auf mich wartet. Da ist sie doch tatsächlich einmal pünktlich! Das hat es ja noch nie gegeben. Normalerweise warte ich immer 20 Minuten aufwärts auf sie, und wie sich herausstellt, sollte es auch die restlichen Tage so sein. Wo nun anfangen, sich was zu erzählen. So viele Sachen, Infos, Ereignisse und so wenige Zeit dafür. In Kürze müssen wir nämlich beide wieder weiter. So wird schnell vor der Fakultät eine geraucht und dann geht’s ab in die Paneria, wo wir dermaleinst unglaublich viel Zeit zugebracht haben.

Nach eineinhalb Stunden, die viel zu wenige sind, verabreden wir  uns dann für später, schließlich muss ich ja noch den Butterflytermin machen und finde es irgendwie beruhigend, dabei jemand an meiner Seite zu haben, der sehr gut Tschechisch spricht.

So, nun eilte ich auch schon dem Treffen mit meinen werten Chefredakteuren im 7. Himmel entgegen. Da ich ja sehr an Traditionen hänge und wenn ich mal angefangen habe, eine Sache auf eine bestimmt Art zu machen, mich nur ungern davon löse, hatte ich geplant, zum Redaktionstreffen den traditionellen Weg zu gehen, wie ich ihn früher immer gegangen war. Also raus aus der Haustür, wie immer zu spät, noch schnell Kippen bei der Trafika neben dem Švandovo divadlo gekauft, rüber über die Straße, am Brunnen vorbei, noch mal rüber über die Straße, dann vor bis zu Újezd, dann abbiegen, dann noch schnell die Kippe wegwerfen, Nazareth mit Miss Misery aus dem Ohr nehmen, MP3-Player ausmachen, sich ’nen Kaugummi einwerfen und rein in den 7. Himmel. Tja, das einzige was jetzt stimmt, ist die Tatsache, dass ich spät dran bin und gerade auf dem MP3-Player Miss Misery suche. Ansonsten komme ich nun von der ganz falschen Seite nämlich Malostranská und habe weder Zeit noch Muse, etwas daran zu ändern. Doch wie ich feststelle, stürzt der 7. Himmel nicht über mir zusammen, nur weil ich von einer anderen Straßenseite aus das Lokal betrete. Auch wenn ich es nach wie vor etwas schade finde, es nicht auf die alte Art gemacht zu haben, so habe ich es immerhin ein Jahr lange gemacht. Und irgendwie ist dieser Weg in meinem Inneren fest mit den Redaktionssitzungen verknüpft.

Da bin ich nun also nach sechs langen Monaten wieder und wieder stelle ich fest, es hat sich kaum etwas verändert. Ok, der dauerkiffende langhaarige Kellner war durch ein ordentliches Mädchen ersetzt worden. Aber sonst ist alles beim alten und so plaudere ich eine halbe Ewigkeit über München und Prag, auf welche Art ich weiter für Tschechien Online schreiben könnte und wie es denn mit meiner Zukunft ausseht. Darüber hätte ich beinahe vergessen, dass ich ja noch bei meinem bulgarischen Künstler wegen eines Termins vorbeischauen will. Also verabschieden wir uns ganz auf bayerisch: Schee woas und ich laufe weiter. Langsam komm ich mir schon vor wie Forrest Gump, soviel laufe ich.

Národní třída wartet ich dann eine Zigarettenlänge auf die Fotoschnecke, die auch gerade mit einem párek v rohlíku in der Hand um die Ecke gelaufen kommt. So schnell essen, noch eine rauchen, dabei schon mal in die Vodičková laufen, währenddessen noch schnell besprechen, ob der neue Schmetterling überhaupt gut aussieht und dann auch schon rein. Da kommt auch schon der Chef auf mich zu und will wissen, was ich will. Ok, dann mal mein Resttschechisch ausgepackt und ihm erklärt, dass ich seinen Kollegen wieder will. Schien ’ne verständliche Aussage zu sein, denn er schreit nun irgendwas in den Hinterraum und schwups, kommt mein Traummann auch schon um die Ecke und schaut doof. Auf die Frage ob er sich an mich erinnert, schaut er noch doofer. Erst als ich ihm den Schmetterling zeige, macht es klick. Nachdem er gefragt hat, ob ich damit zufrieden sei und ich meine ja sehr, deshalb bin ich wieder da, ist die Sache eingetütet. Ich drücke ihm die Vorlage in die Hand, gleiche Größe, gleiche Farbe nur ein bisschen höher. Willst du ihn gleich? Hmm, so verlockend die Aussicht auch ist, mich gleich in seinen fähigen Hände zu begeben, lehne ich doch ab und frage nach einem Termin am Donnerstag. Da habe er zwar frei, aber für mich komme er rein. Also abgemacht, am Donnerstag um 3. Du weißt ja, wie es geht! Und ob, denke ich mir und muss einen verknallten Seufzer unterdrücken. Und schon sind wir wieder raus aus dem Laden. Ohne Terminkärtchen und ohne 1000 Kronen Deposit wie beim letzten Mal. Cool, man vertraut mir!

So jetzt wieder 30 Minuten ans andere Ende der Stadt fahren, um in 2 Stunden dann mit einem meiner Mentorenkinder zum Zechen aufzubrechen. Im Laufe dieses Abends werde ich nicht nur gezwungen, Tschechisch zu reden, was einem nach 2 bis 3 Bier aber auch nicht mehr so schwer fällt, sondern ich lerne auch noch zwei wichtige Sachen.

1.: Eier, also die männlichen heißen auf Tschechisch koule und es ist scheinbar ganz normal als Mann einen anderen zu fragen, ob er denn keine desselbigen besitze. Das hört sich dann so an: Klein Moni wird angequatscht, ob sie tanzen will, lehnt aber ab, mit der Begründung, dass sie gleich geht. Der Typ nervt weiter, sodass ich meine, ich bin morgen auch hier. Darauf entgegnet er, morgen um die Zeit schlafe er schon. Daraufhin schaltet sich mein Mentorenkind ein, was sich wohl ob der Tatsache, dass ich gerade mit einem anderen Mann spreche, etwas zurückgesetzt fühlt und fragt besagten Mann: Hele, nemáš koule nebo co?!? An diesem Punkt endete die Unterhaltung dann.

2.: Entgegen dem, wie es immer war und in meiner Vorstellung auch immer sein würde, wird das Vagon langsam einfach uncool. Da gehen wir an einem Dienstag um kurz vor 1 rein, weil wir bei der Videorockothek noch ein bisschen zu guter Musik tanzen oder besser headbangen wollen, da erzählt uns die Tante an der šatna, dass sie gleich zumachen. Letztlich sitzen wir dann bis kurz vor 4 morgens ohne Musik mit 15 anderen Hanseln drin. Saftladen.

Bildnachweis:
Monika Kindermann

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