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Der Autor

Stanislav Beran ist freier Journalist und Korrespondent mit Schwerpunkt Geschichte und Kultur. 

Als Auslandskorrespondent berichtet er aus dem Isergebirge für verschiedene Zeitungen und Onlinemedien im deutschsprachigen Raum.

Er ist Dolmetscher und staatlich geprüfter Übersetzer für die deutsche Sprache, Herausgeber der Friedländer Zeitung und Heimatforscher.

Auch die Website https://friedlandinbohmen.jimdo.com, auf der man Informationen zur Vergangenheit und Gegenwart des Kreises Friedland in Böhmen und die vielseitige Geschichte des Landes unserer Ahnen finden kann, wurde von ihm erstellt.

Für den Blog auf Tschechien Online schreibt er seit April 2015.

Im Internet: friedlandinbohmen.jimdo.comfriedlandinbohmen.jimdo.com
Bildnachweis:
Stanislav Beran

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| | Kultur | 13.4.2019

Villa Klinger heute und gestern (1)

Erster Teil
  • Renovierte Villa Klinger
  • Eingang zur Villa
  • Der im Juli 2005 gebaute Springbrunnen
  • Historische Ansicht

Die Baron-Ottomar-Klinger-Villa mit herrlichem Park gehörte zu den drei luxuriösen Anwesen, die die Unternehmerdynastie Ignaz Klinger Ende des 19. Jahrhunderts auf ihrem Firmengrundstück in Neustadt an der Tafelfichte (Nové Město pod Smrkem) errichtete. Sie wurde ab 2001 restauriert und umgenutzt und steht unter Denkmalschutz. Die Villen umschloss einst ein von dem Dresdener Architekten Hugo Eck gestalteter weitläufiger Park.

Die Mechanische Weberei Ignaz Klinger hatte sich zu einem erfolgreichen Unternehmen entwickelt, was Ignaz Klingers Sohn Ottomar in die Lage versetzte, sich eine Villa bauen zu lassen. Dieses Gebäude, auch Obere Villa genannt, liegt nur wenige Meter von der Stadtmitte entfernt. Es wurde 1888 bis 1891 im imposanten Barockstil nach dem Entwurf des Reichenberger Architekten und Baumeisters Edmund Trossin als Residenz des Fabrikanten Ottomar Klinger und seiner Familie errichtet und mit Möbeln von Friedrich Otto Schmidt in Wien eingerichtet. Sie ist eine der drei historischen Villen auf dem Grundstück der Firma Ignaz Klinger und die einzige, die nicht abgerissen, sondern sogar restauriert wurde. Sie dokumentiert die Wohn- und Baukultur der Villen des 19. und frühen 20.Jahrhunderts.

Die damalige Tagespresse schrieb: „Wir wollen diesen Bericht so manchem in Nordböhmen wohnenden oder wirkenden Architekten zum eingehenden Studium empfehlen. Es sei von uns übrigens mit Freuden konstatiert, daß ein ungemein befähigter Reichenberger Architekt, Edmund Trossin, in dem benachbarten Neustadtl (seit 1901 Neustadt an der Tafelfichte) eine Villa geschaffen hat, die, was die innere Ausstattung anlangt, auch den höchsten und strengsten Anforderungen genügt: Wir meinen die Villa des Ottomar Klinger. Das Erfassen jedes Raumes als Individuum ist dem Architekten auf wunderbarste Weise gelungen. Jeder Raum bietet einen harmonischen Eindruck, nirgends wird auf Kosten des modernen Bedürfnisses der „Stileinheit“ ein Opfer gebracht, aber das Ganze atmet künstlerische Vornehmheit und Originalität, denn welche Kunstformen auch benutzt sein mögen, sie sind in jedem einzelnen Fall zu einem modernen Stil verarbeitet, und mit feinem Verständnis ist hier die Auswahl des Stiles unter Berücksichtigung des Bedürfnisses, dem der betreffende Raum dienen soll, erfolgt. Es ist selbstverständlich, daß bis in die kleinsten Details der Gedanke, daß in der inneren Ausstattung die Stilart dem Bedürfnisse angepasst werden muß, seine künstlerische Aussprache gefunden hat. Die Villa Klinger kann in der Tat als Muster einer vorzüglichen Einrichtung und Ausstattung - und zwar nicht nur bezüglich der Wohn- und Prunkräume - bezeichnet werden. Vom Keller bis zum Boden herrscht der gleiche verständige Geist, der uns diese Villa bei aller Kostbarkeit harmonisch und behaglich erscheinen lässt. Der Geist, der aus dem modernen Bedürfnis siegreich hervorgegangen ist. Möge er immer und immer mehr die Führung in kunstgewerblichen Dingen übernehmen.“

In den Jahren 1873/74 hatte Edmund Trossin bereits die Oskar-Klinger-Villa gebaut. Und 1884 errichtete er in Maffersdorf rechts der Neiße in der Nähe der Schule die Rechtser Turnhalle, die 17600 Gulden kostete.

1904 kam die dritte, im englischen Stil vom Architekten Schäfer erbaute Villa für Willi Klinger, den zweitgeborenen Sohn von Oskar, hinzu. Sie wurde als Willy-Klinger-Villa bekannt. 1924 wurde sie angeblich nach einem Streit zwischen Vater und Sohn niedergebrannt.

Die letzten Bewohner der Villa waren Baronin Arabella Klinger und der Großindustrielle Baron Oskar Klinger junior. Arabella kam am 29.Mai 1890 in Böhmisch Aicha als Tochter des Industriellen Konrad Blaschka und seiner Ehefrau Arabella zur Welt. Kurz nach der Heirat am 15. August 1911 in Böhmisch Aicha mit dem letzten Besitzer der großen Textilfabrik, Baron Oskar von Klinger, zog sie 1911 nach Neustadt an der Tafelfichte.

Im Oktober 1937 wurde in Neustadt das Buch „Das Isergebirge und seine Wanderungen“ herausgebracht. Der Autor Albert Schulze widmetet es seiner Stadt. Geschmückt wurde das Buch mit vier Illustrationen der Hobbymalerin Arabella Klinger. Es waren zwei Aquarell- und zwei Bleistiftzeichnungen aus dem Isergebirge. Ihre Motive konnte sie bis ins kleinste Detail ausarbeiten. Arabella Klinger malte auch Geburtstagskarten, Weihnachts- und Ostergrußkarten.

Bereits in ihrer Kindheit hatte sie oft ihren Vater bei seinem Hobby, dem Malen, beobachtet. Sie besuchte nie eine Kunstschule; ihre künstlerischen Fähigkeiten erbte sie von ihrem Vater. Bekannt sind ihre Aquarelle, Ölgemälde und Bleistiftzeichnungen, die im Isergebirge entstanden. Einige ihrer Arbeiten kann man im Nordböhmischen Museum in Reichenberg besichtigen.

Sie liebte die Natur und nutzte jede Gelegenheit nicht nur für Spaziergänge, sondern auch für längere Ausflüge in das Isergebirge. Die Neustädter trafen sie oft am Sonntag, wenn sie und ihr Mann auf dem Weg zur Tafelfichte waren. 1935 gab es allerdings einen Wendepunkt in Arabellas Leben. Sie erbte ein beträchtliches Vermögen. Dafür kaufte sich das Paar einen 214 Hektar großen Meierhof in Kunnersdorf bei Friedland und lebte fortan dort.

Das Unternehmen Ignaz Klinger in Neustadt, das durch die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs und die Folgen der Wirtschaftskrise in Schieflage geraten war, musste den Banken überlassen werden. Baron Oskar trat 1934 von der Leitung des Unternehmens zurück. Ab 1. Juli 1934 pachtete die von den Banken gegründete Gesellschaft Lanex die Firma und produzierte mit Direktor Ernst Hanak weiter. 1941 änderten die Banken die Firma in die Ignaz Klinger Aktiengesellschaft. 1942 verkauften die zwei Banken, denen das Aktienkapital gehörte, die Aktien an die Firma Anton Richters Söhne in Mildenau, die das Unternehmen übernahm. Die neuen Aktionäre wurden Alleinbesitzer des Firmengeländes.

Anfang Januar 1935 wurde bekannt, daß Oskar Klinger nach Kunnersdorf übersiedeln werde. Das war für Neustadt ein großer Verlust. Seit 1837, also fast 100 Jahre lang, war die Familie Klinger in Neustadt ansässig. In den Jahren zuvor hatte Arabella Klinger der armen Bevölkerung große Wohltaten erwiesen.

Während der Zeit, die sie in Neustadt verbrachte, gewann sie große Anerkennung für ihr soziales Engagement. 1935 feierte der Neustädter Krippenverein sein 50-jähriges Bestehen: 50 Jahre segensreiche Tätigkeit für das Kind. In den letzten zwei Jahrzehnten davor war die Geschichte des Krippenvereines mit dem Namen Arabellas unlösbar verbunden. Was diese edle Frau an Wohltaten leistete, ist der Öffentlichkeit leider viel zu wenig bekannt. Durch viele Jahre ermöglichte sie nicht nur die Erhaltung, sondern auch die Weiterentwicklung der Kinderkrippe. Sie half außerdem bei der Organisation von Faschingsbällen und unterstützte das örtliche Altersheim. Obwohl ihre Ehe kinderlos war, erlebte sie in Neustadt viele glückliche Jahre.

Großzügig unterstützte sie die Hilfsaktionen im Kindergarten: Dank Baronin Arabella wurden alljährlich viele Kinder zu Weihnachten mit Schuhen, Kleidern und Wäsche reich beschenkt. So erhielten 1934 zu Weihnachten 105 Kinder von ihr Geschenke im Wert von 4000 Kronen. Das Fest fand meistens am Heiligenabend in der Turnhalle statt. Durch die Übersiedlung dieser Wohltäterin erlitt die Fürsorgetätigkeit in Neustadt an der Tafelfichte einen unersetzlichen Verlust. Ihre alljährlichen Spenden für wohltätige Zwecke von 25000 Kronen sind bestimmt nicht zu hoch geschätzt. Die Wohltaten der Familie für Stadt und Bevölkerung wird wohl erst die Nachwelt richtig würdigen können.

In ihrem neuen Zuhause in Kunnersdorf kümmerte sich Arabella um den Haushalt, den Hof und den Garten, während ihr Mann in der Land- und Forstwirtschaft tätig war. Doch darüber hinaus fand das Ehepaar immer Zeit für regelmäßige Sonntagsspaziergänge in das Isergebirge. Außer dem Malen war ihre Stute „Pikantine“ ihre liebste Beschäftigung. Arabella Klinger hatte große Freude an klassischer Musik und besuchte auch häufig Konzerte. Ihr Mann war ein sehr guter Pianist.

Am 16. Juni 1945 wurde das kinderlose Ehepaar Klinger aus ihrer Heimat nach Deutschland vertrieben. Ihr neues Zuhause fand es in Gondorf in Rheinland-Pfalz. Die tschechischen Behörden enteigneten den Hof in Kunnersdorf, auf dem sie gelebt hatten, und ihren ganzes Besitz.

15 Millionen Menschen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg durch Flucht und Vertreibung aus den ehemals deutschen Siedlungsregionen Mittel- und Osteuropas zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen. Unter ihnen bildeten die rund drei Millionen Vertriebenen aus der wiedererrichteten Tschechoslowakei die größte Gruppe. Aufnahme fanden sie im besetzten Deutschland und im besetzten Österreich. Bei der Volkszählung 1950 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 7,9 Millionen Heimatvertriebene registriert. Rund 3,25 Millionen „Umsiedler“ waren zur selben Zeit in der „DDR“ gestrandet. In Österreich wurden damals 310.000 Heimatvertriebene registriert.

Baronin Arabella Klinger verstarb plötzlich und unerwartet am 27.Oktober 1976 im Alter von 86 Jahren. Sie wurde wie auch ihr am 7.September 1875 geborener Ehemann Baron Oskar von Klinger, der schon am 31.Januar 1961 gestorben war, in Gondorf beerdigt.

Aus Anlass des 50.Geburtstages Ottomar von Klingers am 24. Dezember 1902 schenkte die Firma Ignaz Klinger 60.000 Kronen der Stadtgemeinde Neustadt an der Tafelfichte für gemeinnützige Zwecke. Weitere 60.000 Kronen bekam der bei der Firma bereits bestehende Invaliden- und Altersversorgungsfonds und 50.000 Kronen der bei der Firma bestehende Beamten-Pensionsfonds.

Aus dem gleichen Anlass hatte Ottomar von Klinger 1000 Kronen der Stadtgemeinde Neustadt für Unterstützung der Armen und 11.000 Kronen für die Vereine gespendet. Aus der letzten Spende erhielten je 1000 Kronen: das k.u.k. Schützenkorps, der Militärveteranenverein, die städtische Feuerwehr, der deutsche Turnverein, der Männerge-sangverein, der Anpflanzungs- und Verschönerungsverein, der Krippenverein und der Verein der Werkmeister- und Industriebeamten, 300 Kronen der Bund der Deutschen in Böhmen und der Frauenhilfsverein sowie 200 Kronen die Allgemeine Arbeiterkrankenkasse.

Die Gemeinde Hegewald erhielt 200 Kronen und der Männergesangverein 200 Kronen. Die Gemeinde Lusdorf 300 Kronen und der dortige Militärverein und die Ortsfeuerwehr je 300 Kronen. Die Gesamtsumme der Spenden betrug 182.100 Kronen. Hierzu ist zu bemerken, daß Rosa von Klinger zur Feier des 50. Geburtstages ihres Gatten Ottomar ein Armen-Versorgungshaus in Neustadt mit einem Kostenaufwand von mehr als 70.000 Kronen errichtet und die Kosten der Verpflegung der untergebrachten erwerbsunfähigen Personen übernommen hatte.

Im März 1909 spendeten Baron Oskar und Ottomar Klinger dem Stenographieverein „Gabelsberger“ in Neustadt 100 Kronen. Aus Anlass der Eröffnungsfeier der Bezirksheimstätte des Vereines „Kinderschutz“ in Friedland trat Freifrau Helene von Klinger, geborene Gräfin Strachwitz, dem Verein als gründendes Mitglied im Oktober 1909 bei und spendete ihm 2.000 Kronen.

Die am 18. März 1911 in Neustadt abgehaltene Hauptversammlung des Deutschen Turnvereins nahm einen erfreulichen Verlauf. Seine Ehrenmitglieder, die Barone Oskar und Ottomar Klinger, spendeten dem Verein 10.000 Kronen.

Für den Bau des neuen Jeschkenhauses spendete Oskar Klinger 300, Ottomar Klinger 300 und Oskar von Klinger Junior 300 Kronen.

(Fortsetzung - Teil 2 - folgt)

Bildnachweis:
Stanislav Beran

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