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Der Autor

Stanislav Beran ist freier Journalist und Korrespondent mit Schwerpunkt Geschichte und Kultur. 

Als Auslandskorrespondent berichtet er aus dem Isergebirge für verschiedene Zeitungen und Onlinemedien im deutschsprachigen Raum.

Er ist Dolmetscher und staatlich geprüfter Übersetzer für die deutsche Sprache, Herausgeber der Friedländer Zeitung und Heimatforscher.

Auch die Website https://friedlandinbohmen.jimdo.com, auf der man Informationen zur Vergangenheit und Gegenwart des Kreises Friedland in Böhmen und die vielseitige Geschichte des Landes unserer Ahnen finden kann, wurde von ihm erstellt.

Für den Blog auf Tschechien Online schreibt er seit April 2015.

Im Internet: friedlandinbohmen.jimdo.comfriedlandinbohmen.jimdo.com
Bildnachweis:
Stanislav Beran

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| | Politik | 29.8.2018

21. August 1968 in Reichenberg

  • 1968 Reichenberg - Foto: Petr Šmída
  • Abschied von den Toten in Reichenberg - Foto: Jan Pikous
  • Fahrt nach Reichenberg - Foto: Petr Šmída
  • Das Denkmal in Reichenberg erinnert an die Toten des 21.8.1968
  • Infotafel neben dem Denkmal in Reichenberg
  • Fotograf Václav Toužimský mit seinem berühmten Foto des Panzers Nr. 314 in Reichenberg
  • Panzer Nr. 314 in Reichenberg - Foto: Václav Toužimský

Am 21. August 1968 marschierten 750 000 Soldaten der Warschauer-Pakt-Staaten mit 6300 Panzern und Panzerwagen, 2000 Kanonen, 550 Kampf- und 250 Transportflugzeugen in die damalige Tschechoslowakei ein. An jenem Tag fand das schrecklichste Ereignis der Nachkriegsgeschichte Reichenbergs statt. Die entsetzlichen Bilder der Vergangenheit wurden vor drei Tagen wieder wach. Mit diesem Tag sind erschütternde Eindrücke verbunden. In Reichenberg floß 1968 das erste Blut, hier wurden die ersten Menschen erschossen. Dies ist ein Teil der Geschichte, die ich miterlebte.

Nach 1945 war die Tschechoslowakei das einzige Land des künftigen Ostblocks, in dem keine sowjetischen Truppen stationiert wurden. Dies änderte sich nach der „brüderlichen Hilfe" im August 1968. Die Entwicklungen, die der Prager Frühling mit dem Reformer Alexander Dubček mit sich brachte, endeten unter Panzerketten. Der Traum von einer Demokratisierung des sozialistischen Systems war ausgeträumt und der „Sozialismus mit menschlichem Antlitz" vorbei. Nach dem Prager Frühling folgte eine lange Eiszeit. Die Bürger der CSSR litten unter Polizeischikanen, Berufsverboten, Zensur und weiteren Einschüchterungen.

Die Militäraktion „Donau" begann in den Abendstunden des 20. August und war die größte Militäroperation in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Für die Einheiten des Warschauer Pakts, die an der Grenze warteten, kam der Marschbefehl um 23.00, für manche um 24.00 Uhr. Nirgendwo gab es Widerstand. Das Land war machtlos. Neben den Truppen aus der Sowjetunion beteiligten sich Soldaten aus Polen, Ungarn und Bulgarien. Die genauen Zahlen werden wohl für immer geheim bleiben. Die Russen haben nie genaue Zahlen offiziell veröffentlicht. Am 21. August 1968 wurde die gesamte Nationale Volksarmee der „DDR" (NVA) in erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt.

Die 11. Motorisierte Schützendivision aus Halle und die 7. Panzerdivision aus Dresden standen als Reserve in Bereitschaft. Sie sollten die Truppen der UdSSR unterstützen, griffen aber nicht ein. Die Truppen der NVA befanden sich nicht auf tschechoslowakischem Territorium. Nur eine kleine Gruppe von Offizieren und Fernmeldern wurde nördlich von Prag stationiert. Die Panzerkolonnen rückten nach der Grenzüberschreitung schnell Richtung Prag vor. Im Norden kam die erste Kolonne aus Zittau und fuhr über Grottau nach Reichenberg. Die zweite Kolonne kam aus Polen und fuhr über Neustadt an der Tafelfichte und Friedland nach Reichenberg. Die ersten Panzer erreichten die Stadt um 1.30 Uhr.

Reichenberg meldete die ersten Todesopfer bereits gegen 3.00 Uhr. An diesem Tag wurden hier neun Menschen getötet. Landesweit verloren 50 Zivilisten ihr Leben. Von manchen Bewohnern wurden die Soldaten auf den Panzern sogar begrüßt. Viele Bürger der Städte und Dörfer, durch die die Panzer fuhren, dachten, es handele sich um ein geheimes Militärmanöver. Anfangs wußte niemand, daß es sich um eine Invasion handelte. Manche glaubten gar, der Dritte Weltkrieg habe begonnen. Die Situation änderte sich erst in der Morgendämmerung. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich im ganzen Land die Nachricht, daß die Tschechoslowakei von den Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten besetzt worden sei. Dabei kursierten die schlimmsten Gerüchte.

Eines der ersten Opfer in Reichenberg war der 19jährige Zdeněk Dragoun, den fünf Kugeln einer Kalaschnikow trafen, als er die einrückenden Truppen fotografieren wollte. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Um 11.00 Uhr fuhr der Panzer Nr. 314 plötzlich in die Arkaden eines Hauses auf dem Marktplatz vor dem Rathaus. Die Vorderseite des Gebäudes stürzte ein.

Vincenc Březina (*1901) und Miroslav Čížek (* 1945) erlitten tödliche Verletzungen durch die herabfallenden Trümmer, andere wurden schwer verletzt. Weitere Opfer: Bohumil Kobr (* 1896) wurde von einem Lastwagen zerquetscht; Josef Fialka (* 1903) erlitt einen Bauchschuß und verblutete innerlich; Jindřich Kuliš (* 1943) verblutete nach einem Brust- und Bauchschuß; Eva Livečková (* 1937) traf eine Kugel in den Hals; Rudolf Starý (* 1905) traf ein Querschläger; Stanislav Veselý (* 1924) starb an einem Brustschuß.

Das Blut am Seiteneingang zum Ratskeller erinnerte noch lange Zeit an das Blutbad, bei dem vier Menschen getötet und mehr als drei Dutzend verletzt wurden. Sieben der neun Todesopfer wurden unter großer Anteilnahme am 24. August 1968 im Reichenberger Krematorium eingeäschert. Zur Beerdigung kamen mehr als 5000 Menschen. Es war eine stille, aber massive Demonstration gegen die Besetzung. Um 11.00 Uhr ertönten Sirenen, die den Beginn der Trauerfeier ankündigten.

Vor dem Krematorium standen in einer Reihe sechs Särge auf den Katafalken und der siebte Sarg mit dem erschossenen Rudolf Starý in der Mitte davor. Alle waren mit der tschechoslowakischen Fahne bedeckt. Starýs Urne wurde nach Hermannstal gebracht, wo er am 26. August seine letzte Ruhestätte fand. Einer der Redner war der bekannte tschechische Schauspieler Jan Tříska, der 1977 das Land verlassen hat und nach Kanada emigrierte. Beteiligt war und gesprochen hat auch sein Freund, der spätere Staatspräsident Väclav Havel. Beide erlebten den Einmarsch in Reichenberg mit.

Zwei Tage später, am 26. August, fand hier eine zweite Beerdigung statt. Vor dem Krematorium wurden diesmal drei Särge aufgestellt. In der Mitte befand sich ein Kindersarg. Mit Stanislav Veselý, dem achten Opfer von Reichenberg, wurden die 74jährige Marie Vodáková und ihre achtjährige Enkelin Dagmar Škávová beigesetzt. Beide starben am 21. August in Dessendorf im Isergebirge, als ein sowjetischer Militärtankwagen gegen die Wand einer Glashütte stieß und explodierte.

Die Bestattung, die auf Ersuchen der Behörden von Gablonz organisiert wurde, begann um 14.00 Uhr. Die Reichenberger Bergsteiger Karel Heisig, Jan und Jiří Kyncl, Zdeněk Chyba und Petr Ouředník hängten an der Spitze des Rathauses eine 15 Meter lange schwarze Fahne als Zeichen der Trauer für die neun Reichenberger Opfer auf.

24 Stunden nach dem Einmarsch war die Militäraktion „Donau" beendet und die Tschechoslowakei okkupiert. Nach der Besetzung wichtiger Städte, bedeutender Militärgebäude und Flughäfen durch die Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten zogen sich die Soldaten aus Polen, Ungarn und Bulgarien bis zum 4. November 1968 nach und nach zurück. Doch 150 000 Sowjetsoldaten blieben. Bereits am zweiten Tag nach der Invasion verurteilte ein außerordentlicher XVI. Parteitag der kommunistischen Partei der ČSSR den Überfall. Später legalisierte ihn ein zwischenstaatlicher, am 18. Oktober 1968 geschlossener Vertrag.

Der Samtenen Revolution folgte der Zusammenbruch des kommunistischen Systems. Die feierliche Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Tschechoslowakei und der UdSSR über den Abzug der sowjetischen Truppen durch die Außenminister Jiří Dienstbier und Eduard Schewardnadse fand am 26. Februar 1990 im Moskauer Kreml statt. Anwesend waren auch der tschechoslowakische Staatspräsident Väclav Havel, der 1993 der erste Staatspräsident der Tschechischen Republik werden sollte, und der Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Michail Gorbatschow, der einen Monat später Staatspräsident der Sowjetunion wurde.

Der Vertrag sah drei Phasen des Abzugs von Personal und militärischer Ausrüstung der Zentralgruppe der Sowjetarmee aus der Tschechoslowakei von Vom 26. Februar bis 31. Mai 1990 sollten 25 800 Menschen abgezogen werden; vom 1. Juni bis 31. Dezember 1990 sollten weitere 18 300 Soldaten das Land verlassen; der Rest von 29 400 Soldaten sollte zwischen 1. Januar 1991 und 30. Juni 1991 folgen.

Vor 27 Jahren, am 21. Juni 1991, verließ der letzte Militärkonvoi mit sowjetischen Soldaten und deren Militärtechnik die Kasernen. Zwei Tage später überschritt er die Ostgrenze. Der Abzug erfolgte planmäßig und endete einige Tage früher als erwartet. Bis zum 30. Juni 1991 verließen 73 500 Soldaten mit 39 000 Familienmitgliedern, 1220 Panzer, 2505 Kampffahrzeuge der Infanterie und Panzerfahrzeuge, 105 Flugzeuge, 175 Hubschrauber und 95 000 Tonnen Munition das Land. Formal beendete ein Protokoll den Abzug der sowjetischen Truppen. Die Unterzeichnung fand am 25. Juni 1991 in Prag statt.

Die Signatare der Regierungen waren Generalleutnant Rudolf Ducháček und Generalleutnant Eduard Vorobjow, der an dem Einmarsch von 1968 als junger Offizier beteiligt war. Zwei Tage später, am 27. Juni 1991, verließ der Kommandant der Zentralgruppe der Sowjetunion, Generalleutnant Eduard Vorobjow, vom Militärflugplatz Prag-Kbely symbolisch als letzter Sowjetsoldat die ČSFR. Die Sowjetarmee beendete damit ihren fast 23jährigen „vorübergehenden" Aufenthalt in der Tschechoslowakei.

Der Aufenthalt der sowjetischen Truppen in der Tschechoslowakei kostete viele Menschenleben und verursachte großen materiellen Schaden. Vom Einmarsch bis zum Abzug wurden 402 tote und 577 schwerverletzte tschechoslowakische Bürger registriert; Hunderte wurden leicht verletzt.

Noch am 16. November 1990 starb in Reichenberg der Fußgänger Josef Vajdák, den ein sowjetischer Lastwagen überfahren hatte. Er war das letzte Todesopfer der sowjetischen Besatzung vom 21. August 1968 bis 30. Juni 1991. Die Invasion hatte auch eine Emigrationswelle ausgelöst. Bis Ende 1969 verließen etwa 100 000 Menschen freiwillig das Land, weitere 250 000 Menschen bis 1989. Davon waren 24 Prozent Kinder und 41 Prozent Personen im Alter zwischen 16 und 30 Jahren. Mit diesen Zahlen ist nur die ungarische Emigration vergleichbar. Nach dem Volksaufstand in Budapest und dem Einmarsch der Sowjets Anfang November 1956 waren aus Ungarn 300 000 Personen emigriert.

Der Gesamtschaden, den die Rote Armee verursachte, beläuft sich auf mehr als sechs Milliarden Kronen, von denen mehr als die Hälfte Umweltschäden sind, die bis heute nicht behoben wurden. Die Schäden an Straßen und Brücken waren enorm. Im Bezirk Reichenberg belief sich der Schaden, der bei der Durchfahrt am 21. August 1968 verursacht wurde, auf 10 759 000 Kronen. Die Stationierung sowjetischer Truppen endete nach 22 Jahren. Zur Feier des Abzugs ertönten am 30. Juni 1991 im ganzen Land die Sirenen, die Kirchenglocken läuteten.

Einen Tag später wurde der am 14. Mai 1955 von den acht Staaten des Warschauer Vertrages unter Führung der Sowjetunion gegründete Warschauer Pakt offiziell aufgelöst. Eine Bronzetafel für die Opfer der sowjetischen Invasion mit der Nachahmung einer Panzerkette wurde am 21. August 1990 von der Stadt Reichenberg auf Initiative von Miroslav Bernard, der am 21. August 1968 in Reichenberg niedergeschossen wurde und überlebte, enthüllt.

Schöpfer des Denkmals, das sich an der Vorderseite des Reichenberger Rathauses befindet, ist der akademische Bildhauer Jiří Gdovín.

Bildnachweis:
Stanislav Beran

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