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Der Autor

Stanislav Beran ist freier Journalist und Korrespondent mit Schwerpunkt Geschichte und Kultur. 

Als Auslandskorrespondent berichtet er aus dem Isergebirge für verschiedene Zeitungen und Onlinemedien im deutschsprachigen Raum.

Er ist Dolmetscher und staatlich geprüfter Übersetzer für die deutsche Sprache, Herausgeber der Friedländer Zeitung und Heimatforscher.

Auch die Website https://friedlandinbohmen.jimdo.com, auf der man Informationen zur Vergangenheit und Gegenwart des Kreises Friedland in Böhmen und die vielseitige Geschichte des Landes unserer Ahnen finden kann, wurde von ihm erstellt.

Für den Blog auf Tschechien Online schreibt er seit April 2015.

Im Internet: friedlandinbohmen.jimdo.comfriedlandinbohmen.jimdo.com
Bildnachweis:
Stanislav Beran

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| | Kultur | 27.11.2017

Soll ich lachen oder weinen?

Aus zerschlagenen Gedenksteinen wurde im malerischen Wallfahrtsort Haindorf im früheren Kreis Friedland ein Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs errichtet.
  • Altes Kriegerdenkmal Haindorf

Das Denkmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs in Haindorf überlebte die nationalistische Wut, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Norden Böhmens herrschte, nicht. Es wurde zu Pflastersteinen für den Straßenbau zerschlagen und auf dem Gehsteig, auf dem die Kinder zur Schule gingen, verlegt. Vor kurzen wurden die Gedenksteine entdeckt und gerettet. Dass diese Teile des Denkmals nach so langer Zeit gefunden wurden, war Zufall.

Laut Bürgermeister Jaroslav Demčák war diese Tatsache vorher nicht bekannt: „Die Stadtführung wußte nichts davon, und diejenigen, die es vielleicht wussten, redeten nicht darüber. Die zerschlagenen Steine entdeckte der Hausmeister der Schule, als er den Bürgersteig vor der Schule kehrte. Im letzten Jahr wurden die Pflastersteine mit den Namen der Gefallenen aus dem Gehsteig gemeißelt und sichergestellt. Ein Teil der Trümmer wurde für das neu errichtete Denkmal benutzt. Wohin die Figur der weinenden Mutter verschwunden ist, das ist bis heute leider nicht bekannt."

„Die alteingesessenen Deutschen möchten, dass das Denkmal seinen ursprünglichen Zustand erhält, aber das ist heute unmöglich. Außerdem wäre es für die Stadt zu teuer”, sagte Demčák. 99 Jahre nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg beschloss die Stadt Haindorf, ein Denkmal zu schaffen, das an das ursprüngliche erinnert. Es steht an der Kreuzung zwischen Hauptstraße und der Abzweigung nach Bad Liebwerda vor dem Geburtshaus des Josef Riedel, dem Glaskönig des Isergebirges, Nr. 175.

Es ist eine Art Wiederauferstehung nach 72 Jahren, in denen das einzigartige Zeugnis der Vergangenheit in Vergessenheit geriet. Dass dieses Denkmal aufgestellt wurde, ist eine ehrenhafte Leistung der Stadt. Sehr oft besteht ein Denkmal aus poliertem, rostfreiem Stahl. Doch das neue Denkmal in Haindorf besteht aus Cortenstahl, einem speziellen wetterfesten Baustahl, der nach einigen der Witterung ausgesetzten Wochen unter der Rostschicht eine besondere Schutzschicht entwickelt, die den Stahl vor Durchrostung schützt.

An dem Denkmal wurden mehrere Pflasterblöcke und Tafeln mit den Namen der Gefallenen und Vermissten sowie die Inschrift „In memoriam 1914 -1918" angebracht. „Die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen sind immer noch nicht vollständig bereinigt. Deshalb gibt es außer der lateinischen Inschrift keinen Text auf dem Denkmal", erklärte Demčák.

Manche Haindorfer sagen, das Denkmal sehe schrecklich aus. „Ja, aber nur bis zu der Zeit, bis das Blech gleichmäßig mit Rost bedeckt ist. Das dauert eine Weile", sagte der Bürgermeister. Klar sei, dass Kunst nie allen gefalle. Nach Demčáks Meinung hat kein heutiger Grenzbewohner das Recht zu beurteilen (?), was nach dem Krieg geschah: „Damals herrschten ganz andere Verhältnisse. Außerdem haben sich Tschechen und Deutsche gegenseitig nichts vorzuwerfen."

Interessant war die Ankündigung des Denkmals. Am 20. Oktober stand auf der Internetseite der Stadt folgende Überschrift: „In den letzten Tagen ist in Haindorf im Park neben der Post dieser Gegenstand erschienen." Es folgte ein neunzeiliger Bericht. Keine Einweihung, keine Enthüllung, keine Kerzen oder Blumen. Eine Seltenheit. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Haindorf ein Gefallenendenkmal geplant. Die Presse berichtete ausführlich. Unter der Führung des Kameradschaftsvereins hatte sich ein Ausschuss damit längere Zeit beschäftigt. Gestaltung und Errichtungsort waren umstritten. Schließlich entstand das Denkmal und wurde in dem dafür gestalteten kleinen Park vor dem früheren Hotel Kaiserhof aufgestellt und beim 5. Kameradschaftstag des ehemaligen Infanterieregiments Nr. 94 am Pfingstsonntag 1927 enthüllt.

Der Park lag auf dem 1896 aufgelassenen Friedhof neben der ehemaligen Volksschule gegenüber der Kirche. Fünf Granitfindlinge reihten sich um den Hauptstein mit dem Relief einer trauernden Frau und der schlichten Inschrift „Heimatdank".

Auf den Seitensteinen standen die Namen der 78 Gefallenen und 17 Vermissten aus dem kaum 3000 Einwohner zählenden Isergebirgsstädtchen. Das Denkmal, im Volksmund „Weinende Mutter", schuf angeblich der auch an der Haindorfer Kunstgewerbeschule ausgebildete akademische Bildhauer Heinrich Karl Scholz (*1880 in Mildenau, † 1937 in Wien). Aus den Annalen: „Die Enthüllungsfeier hatte am Vortag mit einem Empfang der auswärtigen Kameraden und Gäste, einer Tagung der Schriftleitung und Verwaltung der Zeitung. Der Heimat Söhne im Weltkrieg' und einer Feier im Hotel Scholz, dem früheren Kaiserhof, begonnen.

Am Morgen des Pfingstsonntags fand die Gedächtnismesse auf dem Kirchplatz statt. Anschließend wurde das Denkmal enthüllt. Der ehemalige Feldkurat Pfarrer Mai gedachte der Gefallenen und Vermißten, ein Weihechor sang, und ein Kranz wurde niedergelegt. Nach einem Platzkonzert formierte sich der Festzug. Und nach dem Umzug begann ein Volksfest. Abends fand eine gemütliche Unterhaltung bei Schrammeln und Volksspielen statt.

Der Abend vereinte die Festgäste, unter ihnen viele Vertreter von Kriegsvereinen, im Hotel Scholz. Nach einer Begrüßung durch den Festobmann Josef Augsten aus Haindorf gedachte Feldmarschalleutnant Eduard Zanantoni (1862 -1933) der gefallenen 94er. Anschließend sprach er über Kameradschaft und zeigte an vielen Beispielen, wie solche Kameradschaft überall und ohne hohe Opfer zu fordern geübt werden könne. Die Worte des greisen Divisionärs aus den ersten Kriegsjahren wurden mit stürmischen Jubel aufgenommen.

Oberst Richter, der letzte Regimentskommandant der 94er, dankte im Namen der 94er dem Vorredner für die Treuebeweise, die die 94er von ihm erfahren hätten. Ein Spruch des einheimischen Dichters Josef Benesch, vorgetragen von Elsa Endler, eröffnete die Vortragsfolge. Haindorfs Bürgermeister hieß die 94er willkommen und sagte, daß die Bevölkerung hinter den Heimatsöhnen stehe und jederzeit mit ihnen fühle.

Der stürmisch begrüßte Bürgermeister Eduard Schröder aus Friedland  erinnerte an den ersten Kameradschaftstag in Friedland  und wünschte dem  Haindorfer Kameradschaftstag einen ebenso würdigen Verlauf. Der Deutsche Männergesangverein Haindorf sang das Lied „Friedrich Barbarossa“, und Zanantoni erhob sich zur Ehrung von vier Veteranen einer Zeit, die wir aus der Geschichte kennen.

Der 90jährige Haindorfer Florian Scholz vom ehemaligen 5. Artillerieregiment erhielt die Silberne Tapferkeitsmedaille Zweiter Klasse. Ebenso der 85jähige Ferdinand Neumann aus Mildeneichen, der im Infanterieregiment 36 gekämpft hatte, der 83jährige Anton Geißler, der in den Reihen der 36er gestanden hatte, und der 84jährige Wenzel Piwernetz, der beim Jägerbataillon 1 am italienischen Feldzug teilgenommen hatte. Zanantoni überreichte ihnen Erinnerungsplaketten mit einem Lorbeerkranz, dem Namen der Schlacht und der Jahreszahl.

Festredner und Fachlehrer Karl Neumann aus Weißbach wählte als Grundlage seiner Rede das „Lied vom guten Kameraden“. Danach sang Elsa Endler „Träume“ von Richard Wagner und „Heimweh“ von Hugo Wolf. Die Mädchenriege des Deutschen Turnvereins erfreute mit einem lebendigen Reigen. Gretl Graumüller trug Wagners „Schmerzen“ und Immanuel Kants „Daheim“ vor.

Ein Volkstanz der Mädchenriege des Deutschen Turnvereins schloß sich an. Toni Hüttl erntete mit Georg Hüttners „Frühling“ und Carl Offenbachs „Barcarole“ Beifall. Das „Niederländische Dankgebet“, das der Männergesangverein Haindorf am Schluß zum Vortrag brachte, war von mächtiger Wirkung.

Im Gedenken an seine treuen 94er, die ihm oft in Serbiens Tagen und in den schweren Stunden des Karpatenwinters letzte Rettung waren, legte Zanantoni einen Lorbeerkranz mit goldener Schrift am Denkmal nieder. Ihm folgten Oberst Richter als letzter Regimentskommandant der 94er, die Haindorfer Ortskameradschaft 94 und viele Vereine und Angehörige, so daß der Sockel des Denkmals bald unter den aufgehäuften Blumen verschwand.

Das „Lied vom Guten Kameraden“ schloß die Enthüllungsfeier. Der Vermißtennachweis der 94er, der nun das fünfte Mal auf den Kameradschaftstagen seine segensreiche Tätigkeit begeht, war ständig von Kameraden umlagert, die sich bemühten, den Hinterbliebenen von Vermißten Anhaltspunkte zu geben.

Der Leiter der Stelle, Gendarmerieinspektor i. R. Gustav Augsten aus Haindorf, hatte es verstanden, durch rastlose Arbeit die Bemühungen nach Kräften zu fördern. Der nächste Tag, der Pfingstmontag am 6. Juni 1927, war zum Teil Ausflügen in die Iserberge gewidmet mit Frühschoppen im Wittighaus. Nachmittags nahm das Volksfest seinen ungestörten Fortgang.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs stand das Ehrenmal für die Soldaten, die ihr Leben im Krieg verloren hatten, noch neben dem Hotel. Die Gedenksteine mit der Plastik, die an die traurige Vergangenheit erinnerten, verschwanden 1945/46.

Für Menschlichkeit gab es in der wiedererrichteten ČSR keinen Raum. Rache und Vertreibung folgten. Das neue Denkmal wurde in aller Stille und jenseits der öffentlichen Wahrnehmung installiert. Soll ich darüber nun lachen oder weinen?   

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